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Leibniz war kein Butterkeks

Titel: Leibniz war kein Butterkeks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lea; Schmidt-Salomon Salomon
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»absoluten Wahrheiten«, an die man »unbedingt« glauben muss. Sie akzeptieren, dass alle menschlichen Überzeugungen fehleranfällig sind und deshalb immer wieder aufs Neue überprüft und verbessert werden müssen. Gerade in dieser Bescheidenheit des wissenschaftlichen Denkens liegt seine größte Stärke.
    Wie meinst du das?
    Ein Wissenschaftler weiß , dass er nur etwas glaubt , was ihm heute gültig erscheint, vielleicht aber schon morgen widerlegt ist. Ein Gläubiger hingegen glaubt , dass er tatsächlich etwas weiß , was noch übermorgen gültig sein wird, obwohl es in der Regel schon heute widerlegt ist. Das sind zwei sehr unterschiedliche Herangehensweisen an die Wirklichkeit.
    Warte mal: Der Wissenschaftler weiß, dass er etwas glaubt, während der Gläubige glaubt, dass er etwas weiß? Mannomann, darüber muss ich jetzt erst mal in aller Ruhe nachdenken. Lass uns morgen weitermachen! Einverstanden?
    Aber sicher, du bist der Chef …
    • • • •
    »Ich weiß, dass ich nichts weiß!« Dieses geflügelte Wort wird dem griechischen Philosophen Sokrates (469–399) zugeschrieben. Wer war Sokrates? Nach einem Spruch des »Orakels von Delphi« galt er als der »weiseste Mensch« seiner Zeit. Er selbst führte das darauf zurück, dass er zwar eigentlich nicht besonders weise sei, aber immerhin wisse , dass er es nicht sei, während andere sich für weise hielten, obwohl sie es ebenso wenig seien wie er.
    Sokrates hinterließ keine schriftlichen Werke, war aber ein Meister des Dialogs. Davon zeugen die Gespräche, die Sokrates’ Schüler (vor allem Platon und Xenophon) aufzeichneten. In ihnen hinterfragte Sokrates auf scheinbar naive Weise das vermeintliche Wissen seiner Gesprächspartner. Er verlangte Belege für Sachverhalte, die sie für völlig selbstverständlich hielten, und erschütterte so ihre Überzeugungen, die, wie Sokrates in den Gesprächen mit feiner Ironie herausarbeitete, eben nicht auf guten Argumenten, sondern auf bloßem Scheinwissen gründeten. Mit dieser Strategie erwies sich Sokrates zwar als wahrer Philosoph , also als ein Mensch, der die Weisheit liebt (»philosophia« = »Liebe zur Weisheit«), aber er verschaffte sich damit nicht nur Freunde. Und so kam es am Ende, wie es wohl kommen musste: Im Jahr 399 vor unserer Zeitrechnung wurde Sokrates, der »weiseste Mensch seiner Zeit«, als »Atheist« und »Verderber der Jugend« angeklagt und zum Tode verurteilt.
    Fast zweieinhalb Jahrtausende später setzte der nach England emigrierte, österreichische Philosoph Karl Popper (1902–1994) an dem Punkt an, an dem Sokrates aufgehört hatte: bei der Erkenntnis des »Nicht-Wissens«. In seiner Jugend hatte sich Popper in der sozialistischen Bewegung engagiert, sich aber wieder davon distanziert, als ihm der dogmatische Charakter des Kommunismus bewusst wurde. Ähnlich erging es ihm mit dem sogenannten »Wiener Kreis«, einer Gruppe von Gelehrten um Moritz Schlick (1882–1936), Rudolf Carnap (1891–1970) und Otto Neurath (1882–1945). Während die Vertreter des Wiener Kreises meinten, dass man bei Berücksichtigung logischer und empirischer Prinzipien zwischen wahren und falschen Aussagen positiv unterscheiden könne (»Positivismus«), vertrat Popper die Auffassung, dass wir »die Wahrheit« niemals als solche erkennen, sondern bloß mehr oder weniger vernünftige Vermutungen über sie anstellen können (»Kritischer Rationalismus«). Fortschritte in der Erkenntnis sind nach Popper nur möglich, indem wir falsche Vermutungen widerlegen (»falsifizieren«). Deshalb sollte ein guter Forscher nicht danach streben, »die Wahrheit« seiner Forschungsergebnisse zu beweisen (»verifizieren«), sondern vielmehr nach den Fehlern und Lücken in den eigenen Theorien suchen.
    Poppers »Falsifikationsprinzip« (Verbesserung unserer Vermutungen durch Widerlegung der in ihnen enthaltenen Fehler) konnte sich in der Wissenschaftstheorie mehr und mehr durchsetzen, was den Meister zweifellos erfreute. Weniger amüsiert war er allerdings, als sein Schüler Paul Feyerabend (1924–1994) versuchte, den Kritischen Rationalismus selbst zu widerlegen. Feyerabend meinte, dass man von »Erkenntnisfortschritten« nur dann reden könne, wenn man die »Glaubensüberzeugungen« des wissenschaftlichen Denkens teile. Losgelöst von solchen Überzeugungen könne man gar nicht beurteilen, ob Wettervorhersagen wirklich besser seien als Regentänze. Und so sei es auch nur ein Aberglaube, dass man vorurteilsfrei zwischen

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