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Leibniz war kein Butterkeks

Titel: Leibniz war kein Butterkeks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lea; Schmidt-Salomon Salomon
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vermeiden, die sie begangen haben. Ich sehe darin eine große Quelle für Toleranz: Denn wer gelernt hat, sich selber zu vergeben, kann auch anderen besser vergeben.
    Das heißt aber nicht, dass dir gleichgültig ist, was die anderen so treiben, oder?
    Nein. Es gibt selbstverständlich Handlungen, die objektiv nicht in Ordnung sind und die dringend unterbleiben sollten! Das muss man gegebenenfalls auch deutlich zur Sprache bringen. Aber Kritik an einer spezifischen Handlung bedeutet nicht, dass wir unterstellen müssten, dass der andere in dem Moment, in dem er eine Fehlhandlung beging, sich auch anders hätte entscheiden können. Wenn es in unserem Universum mit »rechten Dingen« zugeht, so ist eben dies ja gar nicht möglich. Also sollten wir uns zurückhalten, wenn wir über andere urteilen. So verurteilungswürdig eine bestimmte Handlung auch immer sein mag: Es gibt keinen Grund für Überheblichkeit! Denn wären wir den gleichen Ursachenfaktoren ausgesetzt gewesen wie der Täter, hätten wir die gleichen Dinge getan.
    Meinst du das im Ernst?
    Na klar! Ich erinnere mich gut daran, wie ich früher mit aller moralischen Entrüstung und Verachtung, die man sich nur vorstellen kann, über all jene geurteilt habe, die im Nazi-Regime mitgemacht haben. Ganz selbstverständlich ging ich davon aus, dass ich damals zu den »Guten« gehört und Widerstand geleistet hätte. Mittlerweile aber weiß ich, dass ich mit meiner heutigen Identität unter den Bedingungen der Nazidiktatur gar nicht existiert hätte. Ich wäre ein anderer gewesen, und vielleicht hätte sich dieses »andere Ich« sogar zu einem besonders grausamen Nazischergen entwickelt. Das heißt: Für moralischen Stolz, also die Einbildung, wir seien etwas prinzipiell Besseres, gibt es keinerlei Veranlassung! Auch wenn wir Verbrechen mit guten Gründen ethisch verurteilen, sollten wir nicht den Fehler begehen, uns moralisch über die Täter zu erheben. Denn unter bestimmten Umständen hätten wir selbst auf der Seite derer gestanden, über die wir uns heute so sehr empören.
    Du bist aber dennoch der Meinung, dass man Hitler & Co. zur Strecke hätte bringen müssen, oder?
    Selbstverständlich – was für eine Frage! Wenn man versteht , warum Menschen Schreckliches tun, heißt das ja nicht, dass man in irgendeiner Weise rechtfertigt , was sie getan haben! Natürlich müssen wir uns gegen Unrecht zur Wehr setzen, auch wenn die Täter tragischerweise nicht anders handeln konnten, als sie es taten. Aber wir sollten Gerechtigkeit nicht mit Selbstgerechtigkeit verwechseln!
    Wenn ich dich richtig verstanden habe, ist Selbstgerechtigkeit das Ergebnis einer stolzen Fehlinterpretation der Wirklichkeit: Man hält sich für etwas Besseres, weil man meint, dass man es »aus freien Stücken« geschafft hat, ein guter, anständiger und erfolgreicher Mensch zu sein, während die anderen mit ihrem »freien Willen« entweder hoffnungslos versagt oder sich sogar für »das Böse« entschieden haben.
    Das hast du schön auf den Punkt gebracht! Ich bin überzeugt, dass wir viel fairer und freundlicher miteinander umgehen würden, wenn wir unsere Neigung zu stolzer Selbstüberschätzung überwinden könnten. Und in diesem Punkt bin ich sogar ausnahmsweise einmal einverstanden mit der Lehrmeinung der katholischen Kirche: In der katholischen Tradition wurde Stolz ja als eine der »sieben Todsünden« betrachtet. Von meinem eigenen Denkansatz her würde ich natürlich niemals von einer »Todsünde« sprechen, aber der dahinterstehende Gedanke scheint mir richtig zu sein: Stolz trägt in der Tat eher zu unserem Unglück als zu unserem Glück bei! Wer große Erfolge in seinem Leben feiern kann, der hat natürlich allen Grund dazu, sich daran zu erfreuen, aber er sollte sich beim besten Willen nichts darauf einbilden! Erfolgreich zu sein, das heißt doch nur, dass man in der »Lotterie des Lebens« ein glückliches Los gezogen hat, während es andere übel getroffen hat. Wer auf so etwas stolz ist, hat, wie ich meine, nur sehr wenig vom Leben begriffen.
    Okay, lass uns das Thema damit erst einmal abschließen. Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber ich fand, dass unser heutiges Gespräch besonders anstrengend war! Wahrscheinlich liegt das daran, dass du doch einige sehr zentrale Dinge über den Haufen geworfen hast, von denen die meisten Menschen, so auch ich, im Alltag ausgehen. Ich muss zwar zugeben, dass das, was du gesagt hast, überzeugend klingt, dennoch habe ich das Gefühl, dass

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