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Leibniz war kein Butterkeks

Titel: Leibniz war kein Butterkeks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lea; Schmidt-Salomon Salomon
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subjektiven Schuld aufgeben und uns stattdessen auf die Frage konzentrieren, ob eine Tat objektiv zu verantworten war oder nicht.
    Meinetwegen. Aber wie kann man denn jemanden für eine Tat verurteilen, wenn er gar nicht die Möglichkeit besaß, sich anders zu verhalten, als er es tat?! Ist das nicht total unfair?
    Dass du das als unfair empfindest, kann ich gut nachvollziehen. Leider ist es so, dass selbst die beste Rechtsprechung die fundamentalen Ungerechtigkeiten des Lebens nicht aufheben kann. Fakt ist ja: Wer ein glückliches Los in der »Lotterie des Lebens« gezogen hat, wird niemals auf der Anklagebank landen, während andere schon von frühester Jugend auf eine kriminelle Karriere zusteuern. Vor Gericht lässt sich das nicht ausgleichen. Man hätte zuvor für bessere Ausgangsbedingungen sorgen müssen!
    Dennoch bleibt es dabei: Wenn wir wissen, dass kein Täter anders handeln konnte, als er handeln musste, dann müssten wir doch eigentlich auf eine Verurteilung verzichten, oder?
    Nein, denn was wären die Folgen? Wenn wir keine Kosten mehr für unerwünschtes Verhalten wie Betrug, Diebstahl, Raub, Erpressung, Mord oder auch nur alkoholisiertes Autofahren erheben würden, dann würde ein solches Verhalten in der Gesellschaft viel häufiger auftreten. Und genau das soll die Rechtsprechung ja verhindern! Die Justiz hat nicht die Aufgabe, eine »universelle Gerechtigkeit« herzustellen, denn um uns diesem Ideal anzunähern, braucht es nicht nur juristische, sondern auch ökonomische, soziale, kulturelle Maßnahmen. Das Rechtssystem hat in diesem Kontext nur eine beschränkte Aufgabe, nämlich die, die Rechtsgüter zu schützen, auf die wir uns geeinigt haben. Und um diese Funktion erfüllen zu können, müssen die Gerichte Sanktionen aussprechen können – auch wenn niemand im streng moralischen Sinne Schuld daran trägt, ob er auf die schiefe Bahn gerät oder nicht.
    Es nutzt also niemandem, wenn er vor Gericht sagt: »Tut mir leid, aber ich konnte einfach nichts dafür, dass ich so geworden bin, wie ich bin, und das getan habe, was ich tat?«
    Natürlich müssen wir die Motive berücksichtigen, die zu einer Tat geführt haben, denn nur so können wir beispielsweise zwischen Mord und Totschlag unterscheiden. Aber letztlich zählt vor Gericht nur, ob du objektiv einen Rechtsbruch begangen hast oder nicht. Wenn du einen Menschen ermordet hast, dann kannst du objektiv etwas dafür , dass dieser Mensch nun tot ist. Dieses objektive Dafür-Können ist juristisch entscheidend, nicht dein subjektives Nicht-anders-Gekonnthaben .
    Hmmm … Wir müssen also Verantwortung für das tragen, was wir getan haben, auch wenn wir in dem Moment der Tat gar keine anderen Möglichkeiten besaßen? Nun gut, ich will das mal so stehen lassen. Aber das beantwortet ja noch nicht meine zweite Frage: Wenn wir uns nicht mehr schuldig fühlen müssen, warum sollten wir unser Verhalten dann überhaupt noch ändern? Oder meinst du, dass wir unser Verhalten nur deshalb ändern wollen, weil wir Angst vor negativen Konsequenzen wie Gefängnisstrafen haben? Das käme mir total unmenschlich vor! Ich wollte nicht in einer Gesellschaft leben, in der sich ein Mörder für einen Mord gar nicht schuldig fühlen müsste und weitere Morde nur aus dem Grund unterlassen würde, weil er nicht noch einmal ins Gefängnis kommen möchte.
    Du hast recht: In einer Gesellschaft von Psychopathen, die schreckliche Taten nicht bereuen, wollte ich auch nicht leben.
    Aber läuft dein Abgesang auf das Schuldprinzip nicht genau auf eine solche Gesellschaft hinaus?
    Nein, denn wir müssen zwischen Schuld- und Reuegefühlen unterscheiden.
    Ist das nicht das Gleiche?
    Das mag auf den ersten Blick so erscheinen, weil sich beide Gefühle aus der gleichen Wurzel speisen: Wir empfinden Schuld beziehungsweise Reue, wenn wir feststellen, dass wir uns falsch verhalten und dadurch irgendeinen Schaden ausgelöst haben. Aber wie beim Stolz kommt beim Schuldgefühl noch eine zusätzliche, fehlerhafte Zuschreibung hinzu: Wir meinen fälschlicherweise, dass wir uns in der Situation auch anders hätten verhalten können, als wir uns verhielten. Erst diese fehlerhafte Zuschreibung löst die moralische Selbstverurteilung aus. Wir meinen, »fürchterliche Menschen« zu sein, die »aus freien Stücken« anderen Schaden zugefügt haben, übersehen also, wie viele Faktoren dazu geführt haben, dass wir zu denen wurden, die wir sind. Paradoxerweise führen solche Schuldgefühle oft nicht

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