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Leibniz war kein Butterkeks

Titel: Leibniz war kein Butterkeks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lea; Schmidt-Salomon Salomon
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würden wir uns in der Welt nicht zurechtfinden. Bei jeder Entscheidung, die dein Gehirn trifft, greift es auf unzählige Lernerfahrungen zurück. Selbst bei der trivialen Entscheidung zwischen einer Party und dem Pauken von mathematischen Formeln führt dein Gehirn unglaublich viele Rechenoperationen durch: Es berücksichtigt unter anderem all deine Erfahrungen, die du mit den einzelnen Gästen der Party gemacht hast, deine Erfahrungen mit Partys überhaupt, deine Erfahrungen mit Prüfungen, deine Erfahrungen mit dem speziellen Lehrer, der die Prüfung durchführt. Auf dieser Basis prognostiziert dein Gehirn das Wohl oder Wehe, das mit dieser oder jener Wahl verbunden sein könnte – und auf dieser Basis trifft es bzw. triffst du dann eine Entscheidung.
    Von all diesen »Rechenoperationen des Gehirns« bekomme ich aber gar nicht so sehr viel mit, oder?
    Nein. Auf dem Bildschirm deines Bewusstseins taucht nur eine Auswahl der Gründe auf, die für diese oder jene Entscheidung sprechen könnten. Und das ist auch gut so! Denn der Arbeitsspeicher deines Bewusstseins ist sehr viel kleiner als der Arbeitsspeicher der unbewussten Denkoperationen, die in deinem Gehirn ablaufen. Pro Sekunde können wir höchstens 50 Bits bewusst verarbeiten, doch allein unsere Augen senden pro Sekunde etwa 10 Millionen Bits, die neuronal verarbeitet werden müssen! Würde dein Gehirn alle Rechenoperationen ins Bewusstsein übermitteln, würde dein bewusstes Selbst angesichts der gigantischen Datenmenge abstürzen wie ein Computer, auf dem viele tausend Programme gleichzeitig gestartet werden.
    Ich ahne jetzt, worauf du hinauswillst: Wir bilden uns zwar ein, dass wir uns in einem bestimmten Moment so oder so entscheiden könnten. Das ist aber nur darauf zurückzuführen, dass uns gar nicht bewusst ist, wie viele Faktoren daran beteiligt sind, dass wir genau das wollen, was wir wollen. Sehe ich das richtig?
    Absolut korrekt! Auch wenn wir den Eindruck haben, dass wir in einer bestimmten Situation alles Beliebige wollen könnten, so können wir in Wirklichkeit doch nur das wollen, was wir aufgrund unserer Veranlagung und unserer Erfahrungen in just diesem Moment wollen müssen . Das heißt auch, dass wir zu keinem Zeitpunkt unseres Lebens klüger, weiser, liebevoller, attraktiver oder erfolgreicher sein können , als wir es in eben diesem Moment sind .
    Und deshalb gibt es auch keinen Grund dafür, stolz zu sein?
    Richtig! Möglicherweise können wir ja zufrieden sein mit dem, was wir erreicht haben, aber es wäre unsinnig, diesen Erfolg auf unser ach so unabhängiges Selbst zurückzuführen. Denn dieses Selbst existiert nicht unabhängig von der Welt! Es ist nur die Simulation eines Gehirns, das so ist, wie es ist, weil unglaublich viele Ursachenfaktoren zu genau diesem – und keinem anderen! – Ergebnis geführt haben. Schon kleinste Änderungen in den Umweltbedingungen hätten ausgereicht, um zu bewirken, dass dieses Selbst völlig andere Eigenschaften hätte, als es heute hat.
    Okay, ich verstehe jetzt etwas besser, warum du meinst, dass Stolz auf einer falschen Interpretation der Wirklichkeit beruht … Am Anfang hast du aber auch behauptet, dass Stolz einem glücklichen Leben im Wege stehen würde. Warum ist das deiner Meinung nach so?
    Das hat verschiedene Gründe: Erstens kann jede Eigenschaft, auf die man stolz ist, irgendwann einmal verloren gehen. Wie du weißt, ist nicht nur Schönheit, sondern sind auch Sportlichkeit oder intellektuelle Brillanz vergänglich. Wer stolz auf derartige Eigenschaften ist, der leidet viel stärker unter ihrem Verlust als jemand, der den Besitz solcher Eigenschaften auf eine zufällige, glückliche Fügung von Ursachenfaktoren zurückführt.
    Gut, das kann ich nachvollziehen.
    Zweitens hat Stolz eine sehr unschöne Kehrseite, die für das Individuum mit erheblichen psychischen Kosten verknüpft sein kann: Denn wer seine Erfolge in besonderem Maße auf sein angeblich »freies Selbst« zurückführt, der wird das Gleiche auch bei Misserfolgen tun müssen! Aus dieser Zuschreibung aber resultieren verheerende Minderwertigkeits- und Schuldgefühle, mit denen sich ein Individuum manchmal ein Leben lang herumplagen muss. Gibt man die Vorstellung auf, dass Erfolg und Misserfolg auf das eigene grandiose Selbst zurückzuführen sind, so kann man sich diese psychischen Kosten ersparen. Mir jedenfalls hat das sehr geholfen.
    Du willst doch nicht etwa behaupten, dass es dir egal ist, ob du Erfolge feierst oder auf

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