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Leibniz war kein Butterkeks

Titel: Leibniz war kein Butterkeks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lea; Schmidt-Salomon Salomon
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Zusammenleben bestimmen sollen, untereinander aus. Und was die zweite Unterstellung, die Annahme eines »ursachenfreien Willens«, betrifft, so hatten wir erkannt, dass es ein solches »Wunderding« in einem Universum, in dem es mit »rechten Dingen« zugeht, gar nicht geben kann. Deshalb ist auch die moralische Selbstgerechtigkeit, mit der »die Guten« über »die Bösen« richten, völlig unangebracht!
    Okay, allerdings befürchte ich, dass es »den Guten« ganz bestimmt nicht gefallen wird, wenn du ihnen die Möglichkeit nimmst, sich über »die Bösen« moralisch erheben zu können!
    Stimmt! Tatsächlich hat dieser Aspekt meiner Philosophie einige Leute noch mehr aufgeregt als sämtliche Beiträge, die ich zur Religionskritik formuliert habe! Ich meine aber, dass für eine ethische Betrachtung der Welt durch einen Abschied vom Moralismus viel gewonnen wäre: Denn erst wenn wir auf solch nebulöse moralische Begriffe wie »gut« und »böse« verzichten, wird unser Blick wirklich frei für das, worum es in der Ethik gehen sollte, nämlich um gerechte, für alle Betroffenen faire Lösungen von Interessenkonflikten . Moralische Empörung verhindert leider allzu häufig, dass wir die ethisch angemessenen Entscheidungen treffen.
    Das verstehe ich nicht ganz: Wo liegt denn der Unterschied zwischen Moral und Ethik? Ich dachte immer, die Begriffe meinen ungefähr das Gleiche …
    Im Alltag werden die Begriffe meist als Synonyme gebraucht. In der philosophischen Debatte hat sich jedoch eingebürgert, dass man unter »Moral« das »gelebte sittliche Empfinden« versteht und unter »Ethik« die »kritische Reflexion« dieses »sittlichen Empfindens«. In gewisser Weise setzt meine eigene Unterscheidung zwischen Ethik und Moral genau hier an. Ich sage: Wer moralisch denkt, der geht von den Konventionen des »gelebten sittlichen Empfindens« aus. Das heißt: Er lehnt eine bestimmte Handlungsweise ab, weil sich »so etwas« (vor dem Hintergrund der geltenden Sittlichkeits-Vorstellungen) »einfach nicht schickt«. Wer hingegen ethisch denkt, der hat diese konventionelle Stufe des moralischen Empfindens durch kritische Reflexion überwunden. Er verurteilt bestimmte Verhaltensweisen nicht, weil sie an sich »unsittlich« wären, sondern weil sie die Interessen anderer in unangemessener Weise verletzen. Das heißt auch: Sind keine fremden Interessen in Mitleidenschaft gezogen, gibt es von einer ethischen Warte aus überhaupt keinen Grund, ein bestimmtes Verhalten zu kritisieren – selbst wenn dieses Verhalten in höchstem Maße gegen die gesellschaftlichen Vorstellungen von »Sittlichkeit« verstoßen sollte.
    Du willst also sagen: Auf der höchsten Stufe der Moralentwicklung denkt man gar nicht mehr moralisch, sondern nur noch ethisch, weil man das »gelebte sittliche Empfinden« kritisch hinterfragt.
    Genau! Man kann sich diese Differenz recht gut am Unterschied zwischen Sexual moral und Sexual ethik verdeutlichen: Aus einer ethischen Perspektive ist es völlig egal, ob ein Mensch masturbiert, ob er heterosexuelle oder homosexuelle Partnerschaften pflegt, ob er Anal- oder Oralverkehr praktiziert, ob er Fetische bevorzugt, sich beim Sex fesseln lässt, ob er einen oder mehrere Sexualpartner hat und so weiter. Solange nicht die Interessen anderer in unzulässiger Weise in Mitleidenschaft gezogen werden, sind diese Verhaltensweisen ethisch absolut legitim! Moralisten sehen das in der Regel völlig anders: Für sie sind bestimmte Verhaltensweisen an sich »unsittlich« oder »böse« – und zwar ganz unabhängig davon, ob durch sie fremde Interessen geschädigt werden oder nicht. Das hat in der Praxis oft dramatische Konsequenzen, denn dort, wo moralische Tugendwächter das Sagen haben (etwa in islamisch regierten Ländern), glauben sie mit aller Gewalt, »unsittliche Umtriebe« unterbinden zu müssen. So wird beispielsweise im Iran noch immer die Todesstrafe für Homosexuelle verhängt und in vielen Ländern der Welt Analverkehr mit langen Haftstrafen geahndet. »Ehebrecherinnen« werden mancherorts öffentlich ausgepeitscht oder gar zu Tode gesteinigt. Ethische Begründungen für diese Grausamkeiten gibt es selbstverständlich nicht, nur empörte moralische Hinweise auf die angeblich »heiligen« Konventionen der Sittlichkeit. Für eine humanere, eine freiere Gesellschaft wäre daher schon viel gewonnen, wenn wir diesen Moralismus-Wahn endlich überwinden könnten.
    In Europa hat sich in dieser Hinsicht doch einiges getan,

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