Leibniz war kein Butterkeks
einziger Jude ein ganzes Dorf, eine ganze Stadt, ja sogar ein ganzes Volk vernichten.« – Wer mit solchen oder ähnlichen Geschichten aufwächst, der wird gemarterten jüdischen Menschen kaum mit Mitleid begegnen, sondern im Gegenteil sogar eine »heilige Pflicht« darin sehen, an der Vernichtung dieser »Feinde des Guten« mitzuwirken.
Du meinst: Die Nazis haben sich tatsächlich als »moralische Helden« gesehen, als Bewahrer »des Guten« im Kampf gegen »das Böse«?
Zweifellos. Deshalb hatten sie auch kein Unrechtsbewusstsein bei dem, was sie taten. Leider ist diese Denkungsart »Wir sind die Guten im Kampf gegen das Böse« noch heute weit verbreitet! Schau nur in den Nahen Osten, auf die blutigen Konflikte zwischen den islamischen Organisationen Hamas und Hisbollah und der ultra-orthodoxen jüdischen Siedlerbewegung, oder führ dir das Selbstverständnis internationaler Terrorgruppen wie Osama bin Ladins »al-Qaida« vor Augen: Wer sich auf der Seite »des Guten« wähnt, hält im Kampf gegen »das Böse« jedes Mittel für gerechtfertigt! Denn unter dieser Voraussetzung sieht man in seinen politischen Gegnern keine Menschen mehr mit Ängsten, Wünschen, Hoffnungen, Träumen, sondern bloß »Feinde«, »Terroristen«, »Ungläubige«, »Marionetten des Bösen«. Ist der Gegner erst einmal auf solche Weise entmenschlicht , braucht man ihm gegenüber keinerlei Mitgefühl mehr zu zeigen. Dann fallen sämtliche Hemmschwellen und die Konflikte eskalieren. Im Tierreich lässt sich mitunter Ähnliches beobachten …
Du spielst auf den Krieg zwischen den Kahama- und den Kasaleka-Schimpansen an, oder?
Ja. Die Schimpansenforscherin Jane Goodall hat in diesem Zusammenhang von einer »De-Schimpansisierung« des Gegners gesprochen. In der Tat verhielten sich die kriegsführenden Schimpansen gegenüber ihren »Feinden« so, als ob sie keine Artgenossen wären, sondern Beutetiere . Tragischerweise hat sich in den meisten menschlichen Kulturen eine ähnliche »Doppelmoral« etabliert: Wir verhalten uns gegenüber Gruppenmitgliedern völlig anders als gegenüber Mitgliedern fremder Gruppen. Und so gehen Nächstenliebe und Fernstenhass oft Hand in Hand, getreu der Devise: »Und willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein!«
Wenn diese Verhaltensweise schon biologisch in uns angelegt ist, lässt sie sich dann überhaupt überwinden?
Selbstverständlich! Das Freund-Feind-Schema kann entweder kulturell verstärkt werden wie in der Nazi-Zeit oder aber kulturell abgebaut werden, wie das nach dem Zweiten Weltkrieg hier in Europa geschah. Wichtig scheint dabei vor allem zu sein, dass wir uns von dem unsäglichen »Gutversus-Böse«-Spielchen verabschieden, das im Konflikt der »islamischen Welt« mit »dem Westen« leider wieder bedrohliche Ausmaße angenommen hat. Denn die Unterstellung, dass die Gegner »böse« seien, war stets die beste Rechtfertigung dafür, dass man ihnen gegenüber auf sämtliche Standards der Menschlichkeit verzichtete. Ohnehin meine ich, dass die moralische Unterscheidung von Gut und Böse uns im Kampf für eine humanere Welt weit eher geschadet als genutzt hat.
Aber wie sollen wir denn ethische Entscheidungen treffen, wenn wir nicht mehr zwischen Gut und Böse unterscheiden?
Na, beispielsweise, indem wir uns am »Prinzip der gleichen Berücksichtigung gleichrangiger Interessen« orientieren, über das wir gestern gesprochen haben. Dann geht es nämlich nicht mehr darum, ob irgendetwas an sich »gut« oder »böse« ist, sondern ob eine Verhaltensweise die Interessen anderer in unangemessener Weise schädigt oder nicht.
Aber eine Verhaltensweise, die »die Interessen anderer in unangemessener Weise schädigt«, ist doch »böse«, oder?
Nein, sie ist »schlecht«, »unfair«, »ungerecht«, in manchen Fällen sogar »grausam«, aber sie ist nicht »böse«! Denn der religiös aufgeladene Begriff »böse« meint weit mehr als all diese Alternativbegriffe: Er macht nur Sinn, wenn man unterstellt, dass es erstens »das Böse an sich« gibt und dass sich Menschen zweitens aus »freiem Willen« zu diesem »Bösen« entschließen. Beide Unterstellungen haben wir in unseren Gesprächen aber schon als Täuschungen entlarvt: Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gibt es keine »Mächte der Finsternis«, wie es auch keine absoluten »Werte des Guten« gibt, die uns von einem »Gott« oder »der Natur« objektiv vorgegeben sind. Stattdessen handeln wir die Werte, die unser
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