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Leiche in Sicht

Leiche in Sicht

Titel: Leiche in Sicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Livingston
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auf sich allein gestellt. Sie fuhren mit geradezu atemberaubender
Geschwindigkeit dahin. Gischt schäumte über Bord. Die Sonne war verschwunden
und einem flirrenden Dunst gewichen, der das Land verbarg.
    Mit Schrecken stellte Mr. Pringle fest,
daß sie irgendwann vom Kurs abgekommen sein mußten. Er korrigierte den Fehler,
doch der Gedanke, daß es seine Schuld wäre, wenn sie verlorengingen, bedrückte
ihn. Suchend blickte er um sich, aber es war kein anderes Boot in Sicht. Wo
waren sie überhaupt? Kamen hier nicht gleich irgendwo Albanien oder
Jugoslawien?
    «Einen Tee?»
    «Was — oh, vielen Dank.» Es war
erstaunlich, wie ihm die Tasse in seiner Hand plötzlich neuen Mut einflößte,
    «Soll ich jetzt mal übernehmen?» fragte
Elizabeth gähnend.
    «O nein, nicht nötig. Es fing gerade
an, mir Spaß zu machen.»
    «Na, um so besser. Dann lege ich mich
noch mal hin. Ich fühle mich ganz schön groggy», sagte sie und ging wieder
unter Deck. Es schien Mr. Pringle wie eine halbe Ewigkeit, bis sich irgendwann
Matthew an Deck blicken ließ.
    «Sollten wir nicht schon langsam die
Einfahrt zum Kanal sehen können?» erkundigte sich Mr. Pringle und bemühte sich,
die Frage möglichst beiläufig klingen zu lassen. Matthew blickte auf seine Uhr.
    «Nein. Es ist noch zu früh. Aber wenn
du ungeduldig wirst, lasse ich das Reff aus dem Großsegel.»
    «Nein, auf ein paar Minuten kommt es ja
nun wirklich nicht an.» In seiner kurzen Karriere als Segler hatte Mr. Pringle
immerhin bereits begriffen, daß ein gerefftes Boot nicht so stark krängte wie
ein ungereiftes. Und was war überhaupt Zeit? Letztlich nur eine weitere
Dimension.
    Als sie endlich Kurs auf die Küste
nahmen, war er überrascht, plötzlich wie aus dem Nichts die anderen Boote vor
sich auftauchen zu sehen. Sie waren offenbar die ganze Zeit über in der Nähe
gewesen und ihm nur durch den Dunst verborgen geblieben.
    Ein Boot nach dem anderen folgte der Zodiac durch die Einfahrt und die schmale Fahrrinne mit tiefem Wasser entlang. Auf
beiden Seiten erstreckten sich sandfarbene Untiefen. Stelzvögel standen
regungslos und beobachteten, wie sie vorüberglitten. Voraus sahen sie die
Lichter von Levkas. Patrick hatte nicht zuviel versprochen — sie waren
tatsächlich die einzige Flottille. Elegant führten sie alle das Anlegemanöver
aus, selbst bei Phyllis ging es diesmal ohne Schrammen ab, und begannen sich
landfein zu machen.
     
    An Bord der Pisces suchte Louise
verzweifelt nach ihren Tabletten. «Du hast die Dinger doch die ganze Zeit in
deiner Handtasche gehabt», knurrte Roge, «wahrscheinlich sind sie dir
irgendwann herausgefallen.»
    «Ach, verdammt, was soll’s, ich hole
mir eben neue. Hier wird es ja wohl eine Apotheke geben.»
    Auf der Aries streifte sich
Charlotte ein Kleid über, zog den Gürtel stramm, um ihre schmale Taille zu
betonen, und begann sich das Haar zu bürsten. Es war durch die Sonne zu einem
glänzenden Weißgold gebleicht, das die zarte Bräunung ihrer Haut vorteilhaft
unterstrich.
    «Geschieht das alles Matthew zu Ehren?»
erkundigte sich Emma ironisch.
    «Vielleicht...» Emma spürte die
unterdrückte Erregung in ihrer Stimme.
    «Paß auf, daß du dir nicht die Finger
verbrennst!» sagte sie warnend.
    «Ach, Unsinn! Im Krieg und in der Liebe
sind alle Mittel erlaubt.» Ein Blick in das Gesicht ihrer Schwester ließ
Charlotte hinzufügen: «Mach dir keine Sorgen — ich weiß schon, was ich tue.
Denkst du, du bist wieder so weit in Ordnung, daß du heute abend tanzen
kannst?»
    «Ich glaube, schon.»
    «Dieser Ingenieur sieht nett aus»,
sagte Charlotte in ihrem unschuldigsten Ton. «Er ist groß und stark, er würde
dich sicher gut beschützen können.»
     
    Levkas enttäuschte sie nicht. Trotz der
späten Stunde waren die Straßen belebt, die Geschäfte offen. Alle genossen die
kühle Nachtluft. In dem Gewirr der kleinen Gäßchen liefen sich die Mitglieder
der Reisegruppe immer wieder in die Arme, man brach in leicht gekünstelte
Überraschungsschreie aus, prahlte mit seinen Einkäufen und erzählte, was für
einen günstigen Wechselkurs man erzielt habe. Gegen zehn Uhr hatten sich fast
alle im vereinbarten Restaurant eingefunden. Mr. Pringle kam zu spät. Er hatte
sich entschlossen, für Elizabeth ein Geschenk zu kaufen. Sie hatte noch immer
sehr erschöpft ausgesehen, als sie mit Matthew von Bord gegangen war, und er
hatte so etwas wie Schuldgefühle verspürt; von ihnen dreien hatte sie mit
Abstand die längste Zeit an der

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