Leiche in Sicht
ganz außer sich —, wie Emma gesagt hatte, zum Barbecue
zurückgekehrt. Was hatte sich dort oben wirklich abgespielt?
Sie brachen auf. Emma und Matthew
gingen ein paar Schritte vor ihm. Sie war ein handfestes, praktisch veranlagtes
Mädchen, dachte er beiläufig. Das Mittagessen war für sie alle nach dem
furchtbaren Schock genau das Richtige gewesen. Fairchild senior und Patrick
standen bereits an der Anlegestelle, Charlotte zwischen ihnen. Das Mädchen
wirkte apathisch. Doch plötzlich machte sie ein paar Schritte auf die
Ankommenden zu, um dann ebenso plötzlich wie angewurzelt stehenzubleiben. Das
war so schnell gegangen, daß Mr. Pringle es fast nicht mitbekommen hatte. Er
wunderte sich. Aus den Augenwinkeln sah er, daß Matthew und Emma ein bißchen
Abstand zwischen sich gelegt hatten, aus einem Paar waren wieder zwei einzelne
Personen geworden. Emma lief eilig auf Charlotte zu und erkundigte sich besorgt
nach ihrem Befinden. Mr. Pringle war jetzt so dicht herangekommen, daß er die
Tränenspuren auf Charlottes Gesicht sehen konnte. «Oh, Emma», rief das Mädchen,
«was für ein schrecklicher Alptraum!»
Als der Ka’i’k anlegte, hielt Mr.
Pringle sich im Hintergrund. Charlotte strebte, wie magnetisch angezogen, auf
Matthew zu und legte ihre Hand auf seinen Arm, genau wie vorhin Emma. Doch
Matthew schien es gar nicht zu bemerken. Er blickte zu Patrick hinüber, der
gerade die Frage wiederholte, die auch John schon gestellt hatte: «Könnte es
Gill gewesen sein, der dich in Spartahouri angegriffen hat, Emma?»
«Es tut mir leid. Ich weiß es einfach
nicht.» Ihr Vater runzelte irritiert die Stirn.
«Kannst du dich denn wirklich an nichts
erinnern, Em?Nicht an irgendein Detail?»
«Ich habe schon einmal jemanden
beschuldigt», sagte sie und blickte ihren Vater wie um Verzeihung bittend an,
«ich möchte nicht noch einmal einen Irrtum riskieren, besonders in dieser
Situation. Aber ich bin ganz wie ihr der Meinung, daß die Polizei Gill
vernehmen sollte. Wenn Char sagt, daß er gestern abend da auf dem Hügel war...»
«Und ob er da war!» schrie Charlotte
heftig. «Dieses dreckige Schwein... er hat versucht, mich anzufassen...»
«Schon gut, schon gut. Beruhige dich
wieder», sagte Patrick scharf. «Wir werden mit Gill reden, wenn wir wieder
zurück sind. Und wenn nötig, dann schleppe ich ihn höchstpersönlich zur Polizei
nach Parga und sorge dafür, daß er erzählt, was passiert ist.»
Aber die Gills waren gar nicht da, sie
waren zum Segeln. Und das war schließlich ihr gutes Recht, denn, wie Kate ganz
richtig sagte, es gab keinerlei Grund, sie oder jemand anderen daran zu
hindern. Die Polizei hatte keinem der Reiseteilnehmer irgendwelche
Beschränkungen auferlegt, im Gegenteil, sie hatten ihnen ans Herz gelegt, ihre
Ferien in Griechenland zu genießen. Abgesehen von der Zodiac und ein
paar anderen verlassenen Booten, lag der Hafen einsam da. Etwaige Befragungen
mußten erst einmal zurückgestellt werden. Mr. Pringle und Matthew gingen den
Kai hinunter zur Capricorn und stellten dabei fest, daß auch die Pisces es vorgezogen hatte, am Ankerplatz liegenzubleiben. Roge stand an Deck,
offenbar erwartete er sie.
«Ich wollte nur sagen — ich habe sie
gestern noch gesehen», sagte er zu Mr. Pringle. Dieser blickte ihn einen Moment
lang verständnislos an, er war in Gedanken noch bei Charlotte und Gill. Dann
begriff er.
«Was?» fragte Matthew irritiert.
«Er war gestern nachmittag hier»,
erläuterte Mr. Pringle. «Wir haben kurz miteinander gesprochen. Er sagte mir,
daß er Elizabeth sehen wollte.» Er spürte plötzlich Zorn in sich hochsteigen.
«Und als sie dann kam, haben Sie sie um Geld gebeten, nehme ich an. Das war es
doch, weswegen Sie sie sprechen wollten, nicht wahr? Wenn sie nicht so reich
gewesen wäre, dann hätte sie vielleicht eine Chance gehabt, ein friedliches
Leben zu führen.»
Roge starrte ihn entgeistert an. «Nun,
war sie wütend, als Sie gingen?» Doch Roge schwieg.
«Sie war in keiner guten Verfassung,
als ich vom Duschen zurückkam», schaltete Matthew sich ein. «Jetzt begreife ich
auch, warum.» Er sah Roge verächtlich an. Der senkte den Blick.
«Wenn sie in keiner guten Verfassung
war, dann bestimmt nicht meinetwegen», widersprach er aufsässig. «Aber es ist
mir egal, was Sie denken, ich wollte Ihnen nur sagen, daß ich sie gestern
gesehen habe.»
Er wirkte nervös, dachte Mr. Pringle,
das großkotzige Gehabe, das er am Flughafen an den Tag gelegt hatte, war
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