Leiche in Sicht
Waschlappen. Du
bist doch pensioniert, oder? Da tust du doch den ganzen Tag sowieso nichts
anderes als Däumchen drehen. Und schließlich warst du an Ort und Stelle, als es
passierte, da kann es ja wohl nicht allzu schwierig sein. Mit der Polizei kann
man heutzutage sowieso nicht mehr rechnen, die sind viel zu sehr damit
beschäftigt, irgendwelchen Drogenhändlern nachzujagen. Und du brüstest dich
doch immer damit, daß du ein Privatdetektiv seist.» Gebrüstet hatte er sich
zwar nicht, dachte Mr. Pringle, aber es stimmte, er hatte in einem letzten
Weihnachtsbrief erwähnt, daß er ab und zu als Privatdetektiv tätig sei.
«Aber ich bearbeite Betrugsfälle,
Enid», wandte er ein. «Das habe ich dir doch auch geschrieben. Mein Fachgebiet
sind Zahlen.» Sie schnaufte verächtlich.
«Alles Ausreden! Aber das kenne ich ja
bei dir. Doch jetzt hör mir mal gut zu: Du bist nichts als ein Amateur und dazu
noch ein blutiger Anfänger, das heißt, du kannst es dir gar nicht erlauben,
wählerisch zu sein. Nun ist es eben Mord statt Betrug — na und? Wenn du deinen
Tee ausgetrunken hast, kannst du mit Matthew nach oben gehen.»
Während sie die Treppe hochstiegen,
hörten sie Enid unten kreischen: «Wer immer es war, er gehört kastriert...» Mr.
Pringle gab der Tür einen Tritt, daß sie ins Schloß fiel, dann explodierte er.
«Für deine Mutter sind anscheinend
Kastration oder Hängen Allheilmittel. Es hat keinen Zweck, Matthew. Ich komme
mit ihr nicht klar. Ich habe sie noch nie aushalten können, und jetzt reicht’s
mir endgültig. Ich weigere mich, dieses Haus noch einmal zu betreten. Wenn du
mich sehen willst, dann müssen wir uns woanders treffen.»
«Sie ist wütend, weil sie gehofft
hatte, ich würde eine gute Partie machen, Liz war schließlich sehr reich»,
sagte Matthew.
Er sieht noch immer elend aus, dachte
Mr. Pringle. Das Strahlende, das Lebhafte, das ihn so anziehend gemacht hatte,
war verschwunden. Die Augen waren rot gerändert, und er sah aus, als hätte er
in den letzten Tagen nicht geschlafen.
«Solltest du nicht vielleicht doch
einmal zum Arzt gehen, Matthew?» begann er. Aber sein Neffe winkte ab.
«Überlaß das mal mir, ich komme schon
wieder in Ordnung.» Das war deutlich. Mr. Pringle hielt es für besser, das
Thema zu wechseln.
«Ich hätte da ein paar Fragen, bevor
wir zu deinem Bericht kommen.» Er öffnete sein Notizbuch. «Sie folgen keiner
bestimmten Ordnung. Als erstes habe ich mir notiert: War Elizabeth in jener
Nacht betrunken?»
«Aber das weißt du doch. Sie hatte
zwei, drei Gläser Rotwein getrunken.»
«Und reichte das, daß sie betrunken
war... Ich meine, so wie ich an dem Abend betrunken war?» fügte er freiwillig
hinzu.
«O, nein, gar nicht zu vergleichen. Wir
hatten, bevor wir zum Barbecue gingen, ein paar Drinks im Strandrestaurant genommen und dann später eben noch etwas Rotwein, und das war’s auch schon. Es
hat wahrscheinlich gereicht, daß sie gereizter war als sonst, aber ansonsten
war sie völlig klar und normal.»
«Ich wußte gar nicht, daß ihr vorher noch
im Restaurant wart.» Matthew zuckte die Achseln.
«Es war eigentlich auch nicht geplant.
Aber in der Whiskyflasche an Bord war nicht mehr viel, und wir wollten noch
etwas für dich übriglassen.»
«Ich verstehe», sagte Mr. Pringle
nachdenklich. «Das war wirklich sehr freundlich von euch. Ich habe die Flasche
auch tatsächlich geleert. Aber ich habe die Menge wohl unterschätzt, und
außerdem bin ich scharfe Sachen nicht gewöhnt. Im nachhinein hatte ich
jedenfalls das Gefühl, als ob mein unrühmlicher Niedergang im Laufe des Abends
schon mit dem Whisky begonnen hatte. Nun ja... Habt ihr übrigens, um zur
Lichtung zu kommen, den Pfad benutzt?»
«Ja, ich dachte, das hätte ich dir
schon gesagt?» Matthew war über seine Frage erstaunt.
«Dann muß ich es wohl vergessen haben.
Tut mir leid. Und wo hat nun euer Krach stattgefunden?»
«Er begann, als wir den Pfad
entlanggingen», sagte Matthew langsam. «Ich versuchte, Liz zu beruhigen, aber
wie ich schon sagte — sie wollte sich an dem Abend unbedingt streiten. Als wir
die Lichtung erreichten, hatte sie sich richtig in Wut geredet. Hier, lies...
Ich habe aufgeschrieben, wie es weiterging...» Mr. Pringle nahm den Bericht und
begann zu lesen. Wie immer war er erstaunt über Matthews fast zwanghaft
ordentliche Handschrift. Sie paßte seiner Meinung nach so gar nicht zu dem
spontanen, offenen Wesen, das er gewöhnlich an den Tag legte. Er hat
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