Leiche in Sicht
dieses altertümliche Wort her?
«Wenn ich an die arme, arme Renée
denke...» Ohne ihn zu fragen, ging sie an ihm vorbei in die Küche.
«Da du es nicht einmal geschafft hast,
Renée, als sie noch lebte, auch nur mit Höflichkeit zu begegnen...» begann er.
«Die Polizei war da», unterbrach sie
ihn grob. «Sie haben Matthew in der Mangel gehabt, über eine Stunde lang.»
«Natürlich», sagte er. «Hast du etwas
anderes erwartet? Das gehört nun einmal zu ihrem Job. Hier waren sie auch...
Was suchst du?» Enid hatte den Wasserkessel gefüllt und auf den Gasherd
gestellt. Nun blickte sie sich suchend in der Küche um. «Was suchst du?»
wiederholte Mr. Pringle ungeduldig.
«Die Keksdose.» Kein Wunder, daß sie so
fett war, dachte Mr. Pringle gehässig. Er packte seine Einkaufstasche aus und
warf ihr über den Tisch eine Schachtel Kekse zu.
«Hier, bedien dich, und dann
verschwinde!»
«Ich habe der Polizei gesagt, daß du
mit der Sache befaßt seist und daß sie dich befragen sollten, nicht Matthew.
Aber sie haben nicht auf mich gehört... Diese Kekse mag ich nicht, hast du
nicht welche mit Füllung?» Kindheitserinnerungen stiegen in ihm hoch. Enid,
die, ohne aufzublicken, ein ganzes Pfund Doppelkekse mit Vanillecreme in sich
hineinschlang, Enid, das Gesicht über und über mit Pickeln bedeckt.
«Matthew muß die Fragen schon selbst
beantworten», sagte er, «genau wie alle übrigen Mitglieder der Reisegruppe,
sobald sie wieder hier sind.»
«Sie sind ja schon wieder zurück,
einige wenigstens. Matthew hatte gestern abend noch einen Anruf von einem
Mädchen. Offenbar hatten sie und ihre Familie die Nase voll von den Ferien.»
Vermutlich die Fairchilds, dachte Mr.
Pringle. Enid beugte sich vor und stützte sich mit den Ellenbogen auf den
Küchentisch. Er haßte es, wie sie so dasaß, als sei sie hier zu Hause. «Wir
beide müssen einmal eine ernsthafte Unterhaltung führen, denke ich, über diese
Frau, die sich hier eingenistet hat.»
«Die sich was?»
«Du verkommst immer mehr», fuhr sie
fort. «Es ist ja nicht einmal Liebe, sondern nur Begierde. Und das in deinem
Alter! Aber noch ein paar Jährchen, dann dürftest du das auch überwunden
haben...»
«Enid!»
«Bei einem alleinstehenden älteren Mann
wie dir hat solch eine Hyäne natürlich leichtes Spiel. Sei froh, daß es mich
gibt, und hör auf meinen Rat. Sie will dich ausnehmen, sonst nichts.» Sie ließ
ihren Blick durch die Küche wandern und lächelte abschätzig. «Viel ist das Haus
ja nicht wert, aber Alan und Matthew als deine nächsten Verwandten haben einen
Anspruch darauf, daß es einmal in ihren Besitz übergeht.»
«Enid, zum letztenmal, trink deinen Tee
aus, und dann verschwinde. Dieses Haus, wie schäbig auch immer, gehört mir und
wird mir gehören, bis ich sterbe. Und was danach damit geschieht — da würde ich
mir an deiner Stelle nicht allzugroße Hoffnungen machen, du und die Kinder
könnten sonst eine herbe Enttäuschung erleben. Im übrigen ist meine Freundin
Mrs. Bignell eine Dame und würde nie...»
«Sie ist eine Schlampe!»
«Enid, wenn du dich nicht umgehend bei
ihr für das, was du ihr gesagt hast, entschuldigst, sehe ich keine
Möglichkeit...»
«Wie käme ich dazu!» Mr. Pringle hatte
genug. Er packte seine Schwester am Arm und zog sie vom Stuhl.
«Ich habe dich noch nie gemocht, Enid»,
sagte er, während er ihr die restlichen Kekse in die Handtasche stopfte. «Als
du und ich noch Kinder waren, hast du mir das Leben zur Hölle gemacht.» Unsanft
drängte er sie aus der Küche. «Du hast immer versucht, mir jede Freude zu
verderben. An meinem einundzwanzigsten Geburtstag hast du dich absichtlich über
meiner Geburtstagstorte erbrochen. Du wußtest, daß Granny monatelang ihre
Lebensmittelmarken dafür gespart hatte, um sie mir zu schenken.» Er schob sie
vor sich her durch den Flur, seine Wut gab ihm eine nie geahnte Energie. «Du
bist selbst dann noch gemein zu Renée gewesen, als du schon wußtest, daß sie
bald sterben würde...»
«Ha», sagte sie gehässig, «das ist nun
der Dank! Dabei habe ich mir die größte Mühe gegeben, nett zu ihr zu sein...
obwohl sie so eine dumme Kuh war.» Mr. Pringle riß die Haustür auf.
«Und was ist mit Matthew?» sagte sie
und klammerte sich an seinen Arm. «Er verläßt sich auf seinen Onkel.»
«Ich werde tun, was in meinen Kräften
steht, vorausgesetzt, du läßt dich hier nicht mehr blicken!»
Enid ging, ihr Schritt war so fest wie
immer, doch Mr. Pringle
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