Leiche in Sicht
entstellte ihr Gesicht. «Er versuchte danach noch
einmal, mich zu betatschen. Irgendwie finde ich ihn jetzt im nachhinein
bemitleidenswert.»
«Haben Sie nach dem ersten Schrecken
Angst gehabt, daß er Ihnen etwas antun würde?» erkundigte sich Mr. Pringle und
sah sie aufmerksam an. Charlotte zögerte mit der Antwort.
«Also... Todesangst hatte ich nicht,
wenn Sie das meinen. Ich war eher zornig. Und außerdem fühlte ich mich
schmutzig und erniedrigt, weil er mich angefaßt hatte und weil ich dann
anschließend noch hingefallen war...»
«Aber Sie fürchteten nicht, daß er Sie
töten könnte?»
«Nein», sagte Charlotte bestimmt.
«Nein, auf die Idee bin ich gar nicht gekommen.»
«Gill hat Sie dann gehen lassen?»
«Ja. Er selber ist oben geblieben. Ich
habe ihn noch eine Weile im Unterholz herumtoben hören. Im stillen habe ich ihm
gewünscht, daß er sich das Genick brechen möge, aber er ist dann ja wohl
irgendwie heil heruntergekommen. Als ich wieder beim Barbecue auftauchte, haben
sich natürlich alle aufgeregt, wie ich aussah, und eine Unmenge Fragen
gestellt. Das war beinahe schlimmer als die Sache selbst. Ich habe dann
ziemlich schnell ziemlich viel getrunken, weil ich abschalten wollte.» Mr.
Pringle nickte.
«Glauben Sie, daß Elizabeth in der Nähe
war, während Gill sich an Sie heranmachte?»
«Wenn ja, dann hätte sie sich wirklich
ziemlich dumm verhalten», sagte Charlotte heftig. «Ich meine, sie mußte doch
wissen, was ihr möglicherweise blühen konnte, wenn sie dort bliebe. Und sie
hätte doch, solange Gill mit mir beschäftigt war, eine gute Gelegenheit gehabt
wegzulaufen.»
Vielleicht, dachte Mr. Pringle, war
Elizabeth zu dem Zeitpunkt dazu schon gar nicht mehr in der Lage. «Wann ist
eigentlich Gill dann beim Barbecue erschienen?» erkundigte er sich.
«Er ist gar nicht erschienen», sagte
Charlotte und bestätigte damit nur, was auch Matthew schon gesagt hatte.
«Patrick ist, als er meine Geschichte gehört hatte, losgezogen, um ihm eine
Tracht Prügel zu verabreichen, aber er hat ihn nicht mehr gefunden. Mir selber
war inzwischen eigentlich schon alles egal. Matthew wollte noch wegen Liz eine
richtiggehende Suchaktion starten, aber ich bin zurückgegangen aufs Schiff.»
«Wäre es möglich», fragte Mr. Pringle
vorsichtig, «daß sich außer Gill noch jemand dort oben aufgehalten hat?» Sie
sah ihn ehrlich überrascht an.
«Möglich schon...» sagte sie zögernd.
«Es steht ja gar nicht fest, daß es
Gill war, der Emma in Spartahouri überfallen hat», sagte Mr. Pringle.
Charlotte nickte. «Ja. Emma ist sich
überhaupt nicht sicher, wer es war.»
«Eben. Und wenn es ein anderer Mann
war, dann konnte es doch gut sein, daß dieser Mann auch für das verantwortlich
ist, was Liz zugestoßen ist.» Charlotte überlief ein Schauder.
«Es ist ein unheimlicher Gedanke, daß
vielleicht noch ein zweiter Mann sich dort oben herumgetrieben und Gill und
mich beobachtet, oder besser gesagt, belauscht hat. Denn wie ich schon sagte,
es war ja stockfinster.»
«Ich frage mich», sagte Mr. Pringle,
«ob dieser andere Mann nicht vielleicht Roge Harper gewesen sein könnte?»
Charlotte sah ihn an, als hätte sie nicht richtig gehört, dann begann sie
unbändig zu lachen.
«Das meinen Sie doch wohl nicht ernst,
oder? Roge ist doch wohl als Mann ein Witz!»
Eine halbe Stunde, nachdem Charlotte
gegangen war — Mr. Pringle hatte gerade vor, ein Lammkotelett zu verzehren —,
kam Matthew. Seine Augen leuchteten vor Aufregung.
«Es ist unglaublich...» begann er,
kaum, daß ihm Mr. Pringle die Tür geöffnet hatte, und ging mit großen Schritten
an ihm vorbei zur Küche. «Wirklich unglaublich... Oh, du bist gerade beim
Essen?»
«Das macht nichts.»
«Rate einmal, was passiert ist?»
«Du wirst es mir wohl schon sagen
müssen.»
«Gill ist verschwunden!»
«Nein!»
«Doch. Hast du etwas zu trinken?»
«Da kommst du am besten mit ins
Wohnzimmer.» Sie gingen hinüber. Matthew goß sich einen Sherry ein.
«Charlotte war hier», sagte Mr.
Pringle.
«Ach ja?» Die Mitteilung schien Matthew
nicht besonders zu interessieren. «Wir hatten doch verabredet, daß ich die
Adressen der anderen Reiseteilnehmer besorgen sollte», begann Matthew. Mr.
Pringle nickte. «Nun, so einfach am Telefon wollte sie der Reiseveranstalter
verständlicherweise nicht herausrücken, und deshalb bin ich dort
vorbeigegangen. Während ich wartete, rief zweimal die Polizei an. Das erste Mal
wollten sie seine
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