Leiche in Sicht
sich ein sanftes Schnarchen hörte.
Kapitel 25
Es dauerte dann doch länger als eine
Woche, ehe Mr. Pringle mit der Polizei wegen Gill ins Gespräch kam, weil dieser
zum zweitenmal vor Gericht erscheinen mußte. Aufgrund neu aufgetauchter
Anklagepunkte wegen Krediterschleichung wurde eine Fortsetzung der Untersuchungshaft
angeordnet. Mr. Pringle verschlang gierig die Einzelheiten. Da zu recherchieren
hätte ihm Spaß gemacht! Ohne den Druck des Jahresabschlußtermins im Nacken
durch ein Zahlenlabyrinth zu wandeln, erschien ihm ein exquisiter Genuß.
Nach mehreren Anrufen war der Beamte,
der ihn vor einigen Wochen zu Hause aufgesucht hatte, bereit, mit ihm zu
sprechen. Es war einer jener schwül-heißen Nachmittage, in denen die Luft in
den Straßen Londons gleichsam zu stehen scheint. Mavis bemerkte anzüglich,
wieviel frischer doch die Luft an der See wäre, und er versprach ihr, so
schnell wie möglich wieder zurück zu sein. Es war ihm ernst mit seinem
Versprechen. Der unselige Mr. Kelly hatte es, obwohl unter Mavis’ Aufsicht
stehend, inzwischen geschafft, einen großen Brocken Putz aus der Decke
herauszubrechen. Sie sah jetzt schlimmer aus als vorher.
«Auf dem Polizeirevier liefen die
Beamten in Hemdsärmeln herum. Der Constable, der ihn den Flur
hinunterbegleitete, roch durchdringend nach Schweiß. Er öffnete die Tür und
sagte: «Mr. Pringle, Sir.»
«Vielen Dank, Constable. Treten Sie
ein, Mr. Pringle. Bitte nehmen Sie Platz.» Der Raum war mit einem Tisch und
zwei Stühlen nur spärlich möbliert. Die Luft war stickig. «Einen Tee?»
«Könnte ich wohl ein Glas Wasser
haben?»
»Einen Tee mit viel Zucker und ein Glas
Wasser.» Der Constable verschwand. «Nun, Mr. Pringle... Sie wollten mir etwas
erzählen?»
«Ich weiß nicht, ob es wichtig ist.» Er
schob seinen Bericht über den Tisch. Der Beamte las ihn schnell durch.
«Wir wissen natürlich von diesem ‹Verschwinden›.
Ihrer Meinung nach besteht da also ein Zusammenhang mit dem Tod von Elizabeth
Hurst?»
«Ich weiß es nicht, aber ich kann mir
nicht gut vorstellen, daß es ein Zufall sein soll. Sehen Sie, nicht nur Gill,
sondern auch Roge Harper brauchte Geld. Mrs. Harper glaubt, daß ihr Mann Miss
Hurst wegen eines Darlehens angesprochen habe. Ob das stimmt, werden wir
natürlich erst wissen, wenn er wieder auftaucht und es bestätigt.»
«Ja, wenn», sagte der Beamte mit
Betonung. Mr. Pringle nickte betrübt. «Das habe ich mir auch schon überlegt.
Wenn jemand so lange Zeit verschwunden ist...»
«Hören Sie, Mr. Pringle —» der Beamte
beugte sich vor und lächelte ihm freundlich zu — «ich kann Ihren Versuch, eine
Verbindung herzustellen, verstehen, aber ich glaube, Sie geheimnissen da in
sein Verschwinden etwas hinein, was nicht da ist.» Er klopfte mit dem
Zeigefinger auf den vor ihm liegenden Aktendeckel. «Halten Sie mich jetzt nicht
für zynisch, aber in neun von zehn Fällen, wenn ein Mann verschwindet, ist er
einfach abgetaucht, weil er sich irgendeiner Situation nicht gewachsen fühlte,
zum Beispiel... Oh, danke, Constable, stellen Sie es hierhin.»
Der Tee dampfte und war offenbar noch
brühheiß, aber der Beamte hatte die Tasse mit zwei Schlucken leergetrunken.
«Ah, das tat gut... Doch zurück zum Thema. Wir haben natürlich Ermittlungen
angestellt. Und wie Sie schon sagten, Harper hat versucht, an Geld zu kommen.
Er wußte, daß er eine ziemliche Summe brauchen würde, um seinen Plan zu
verwirklichen, aber er hat nichts unternommen. So leid es mir tut, das sagen zu
müssen, Mr. Pringle. Aber er war nur ein unbedeutender, kleiner Mann. Vor den
Nachbarn hat er mit einen Plänen geprahlt, aber er war längst nicht energisch
und tatkräftig genug, sie tatsächlich zu verwirklichen. Kurz bevor sie in
Urlaub fahren wollten, hat ihm dann Miller, sein Chef, sozusagen ein Ultimatum
gestellt. Nun, Mr. Pringle, Sie sind doch bei ihm zu Hause gewesen und haben
die Wohnung gesehen. Würden Sie, wenn Sie für eine Bank tätig wären, den beiden
ein Darlehen gewähren? Ich glaube, nicht. Und man braucht kein Geschäftsmann zu
sein, um zu erkennen, daß die beiden Läden nicht gelaufen wären. Ich denke mir,
Roge Harper hat das insgeheim selbst schon lange gewußt, und das Ultimatum
seines Chefs hat ihn bloß gezwungen, jetzt der Realität endlich ins Auge zu
sehen.» Der Beamte lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, um mit weit
ausgreifenden Gesten die Katastrophe zu beschreiben, die den kleinen Mann
befallen hatte.
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