Leiche in Sicht
blickten hinunter auf Reihen und Reihen von Yachten. Im Becken
ganz vorn befand sich eine absonderliche Ansammlung kleiner Boote, Marke
Eigenbau, mit Tüllgardinen und Geranien ausgestattet, die nicht dazu geeignet
schienen, mit ihnen in See zu stechen, und wohl auch nur als Eigenheimersatz
gedacht waren. Gleich nebenan ankerten die seetüchtigen Yachten,
stromlinienförmige, sehr teure Spielzeuge, finanziert durch Steuerhinterziehung
oder andere dunkle Geschäftstransaktionen, die ein Mann wie Roge Harper
vermutlich sehr verwirrend gefunden hätte, die für Mr. Pringle aber völlig
transparent waren.
Den Ehrenplatz am längsten Ponton
nahmen die rassigen Rennyachten ein. Sie waren vor allem im Hinblick auf ihre
Funktionalität gebaut — die Bequemlichkeit und Sicherheit der Crew kamen erst
in zweiter Linie, und so gab es hier auch weder Seitenfenster noch Handläufe.
Diese Yachten waren dazu bestimmt, immer neue Rekorde zu erjagen, ihre Besitzer
gehörten zu jener Spezies von Menschen, die sich mit dem, was sie erreicht
hatten, nicht zufriedengeben konnten, sondern neue Herausforderungen brauchten.
Ob es wohl, dachte Mr. Pringle, unter
den vielen Booten eines gab, das einem Mädchen gehörte wie Elizabeth? Einem
Mädchen, das sich gegen den Wind stemmte und durch die Gischt hindurch rief:
«Ist es nicht wundervoll?»
«Was für eine Menge Geld da drin
steckt», bemerkte Mavis kritisch. «Irgend jemand hat mal gesagt, Segeln, das
sei, als stelle man sich unter eine kalte Dusche und zerrisse
Zehn-Pfund-Noten.»
«Ein guter Vergleich», sagte Mr.
Pringle geistesabwesend. Elizabeth hatte eine Yacht besessen... Elizabeth hatte
eine Yacht besessen... Warum bloß ließ ihn dieser Gedanke nicht mehr los?
Mavis deutete auf die Boote mit den
Tüllgardinen und den Geranien. «Die sehen aber sehr eng aus», bemerkte sie. «Wo
soll man denn da bloß seine Sachen lassen.»
Während der Zugfahrt begann eine Idee
Gestalt anzunehmen — es war die furchtbarste Idee, die er je gehabt hatte.
Mavis deutete seinen Gesichtsausdruck als körperliches Unbehagen. «Du siehst
aus, als sei dir übel. Vielleicht solltest du lieber eine Zeitlang auf zu fette
Sachen verzichten.»
«Mir ist nicht übel. Ich muß möglichst
schnell mit einem Pathologen sprechen.»
«Du liebe Güte, meinst du nicht, das
ist ein bißchen verfrüht?»
Zu Hause erfuhr er etwas, das ihn fürs
erste wieder ablenkte. In einer von mehreren Zeitungen, die er bei seiner
Heimkehr im Briefkasten vorfand, weil er vergessen hatte, sie abzubestellen,
stand eine kurze Meldung, daß bei Isleworth/Middlesex ein ausgebrannter
Lieferwagen mit einer männlichen Leiche entdeckt worden sei. Die Polizei nehme
an, daß es sich bei dem Toten um den seit längerem vermißten Roge Harper
handele...
«Ich muß zu ihr fahren, Mavis. Die arme
Frau... Sie hat so gehofft, daß er zurückkäme...»
«Aber heute nicht mehr, Lieber. Es
reicht auch, wenn du morgen fährst. Du sollst dich nicht gleich wieder in die
Arbeit stürzen, sonst ist die gute Wirkung der Seeluft bald wieder futsch.» Sie
errötete etwas, als ihr einfiel, daß es nicht nur der Seeluft zu danken war,
daß er sich so gut erholt hatte.
Am nächsten Tag, er hatte mehrere Male
versucht, Maureen telefonisch zu erreichen, fuhr er nach Isleworth. Der
Eisenwarenladen war geschlossen.
Als er gerade das dritte Mal unten an
der Haustür klingelte, kam ein Nachbar vorbei. «Sie ist weg.»
«Wissen Sie, wohin?»
«Normalerweise wüßte Mr. Miller
Bescheid, aber der liegt im Krankenhaus — Herzinfarkt.» Aber Mr. Pringle
beschloß, jetzt, wo er schon einmal da war, nicht so schnell aufzugeben.
Ein paar Häuser weiter war ein
Zeitungsladen. Ja, sagte der Besitzer, er kenne die Harpers, sie sei eine nette
Frau. Schrecklich, das mit ihrem Mann. Nein, wo sie sei, könne er nicht sagen,
ihr wöchentliches Abonnement für Woman’s Weekly habe sie abbestellt,
aber vielleicht, wenn er einen Moment Zeit hätte, daß seine Tochter... «Sheila,
hast du eine Ahnung wo die Frau aus der Mainstreet 23 hingezogen ist?»
«Wieso?»
«Jetzt hör auf zu schreien und komm
gefälligst her, hier ist ein Kunde.» Aus dem Hinterzimmer trat ein Mädchen und
starrte ihn neugierig an.
«Sie sagte, die Stadtverwaltung habe
ihr eine Wohnung am anderen Ende von Hounslow angeboten.»
«Der Herr hier möchte gern ihre genaue
Adresse.»
Mr. Pringle wartete geduldig, während
sich das Mädchen bei seinem Vater spöttisch erkundigte, ob er glaube,
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