Leichenblässe
Waffen hasste.
«Schon gut, schon gut!», sagte ich und zog Paul zurück. «Komm, beruhige dich!»
«Zurück in den Wagen! Sofort!», brüllte der Polizist. Er hielt die Pistole mit beiden Händen und zielte auf den Boden zwischen
uns.
Paul rührte sich nicht. Im hellen Sonnenlicht schienen seine Augen ins Leere zu blicken. York konnte er nicht in die Finger
kriegen, aber er musste irgendwie seine Wut abreagieren. Ich habe keine Ahnung, was geschehen wäre, wenn |346| wir nicht in diesem Moment eine vertraute Stimme gehört hätten.
«Was ist hier los, verflucht?»
Ich hätte nie gedacht, dass mich Gardners Anblick einmal erfreuen würde. Der TB I-Agent kam mit zusammengepressten Lippen den Pfad herab. Der Polizist hatte seine Waffe noch immer auf uns gerichtet und starrte
Paul finster an.
«Sir, ich habe ihnen gesagt, dass sie umkehren sollen, aber sie wollten …»
«Ist schon in Ordnung», sagte Gardner mürrisch. Sein Anzug sah noch zerknitterter aus als sonst. Er warf mir einen kalten
Blick zu, ehe er sich an Paul wandte. «Was machen Sie hier?»
«Ich will den Krankenwagen sehen.»
Er klang so entschlossen, dass jeder Widerstand sinnlos war. Gardner betrachtete ihn einen Augenblick und seufzte dann.
«Hier entlang.»
Wir folgten ihm den Pfad hinauf. Der Rastplatz befand sich auf einer Lichtung, von der man eine herrliche Aussicht auf die
sich meilenweit ausbreitenden bewaldeten Gipfel und Täler hatte. Hoch oben über diesem unendlichen grünen Meer war die Luft
kühler, aber dennoch warm und roch süßlich nach Kiefern und Fichten. Auf einer Seite der Lichtung parkten Polizeifahrzeuge
und ein paar Zivilautos.
Etwas abseits davon und durch Flatterband abgesperrt stand der Krankenwagen.
Schon aus der Entfernung konnte ich die durch den Zusammenstoß verursachten Schäden sehen. Über eine Seite verliefen parallele
Furchen, und der linke Kotflügel, mit dem der Wagen gegen den Baum geprallt sein musste, war wie Stanniolpapier zusammengedrückt
worden. Kein Wunder, |347| dass York ihn stehengelassen hatte. Er war wahrscheinlich froh gewesen, überhaupt so weit damit gekommen zu sein.
Paul blieb vor dem Polizeiband stehen und starrte in den Krankenwagen. Die Hecktüren standen sperrangelweit auf, sodass man
die ausgedienten Liegen und Schränke sehen konnte, zwischen denen ein Beamter der Spurensicherung seiner Arbeit nachging.
Von einer der Liegen hingen die Halteriemen hinab, als wären sie hastig gelöst worden.
Ich spürte, dass jemand neben mir stand. Es war Jacobsen, die mich ernst anschaute. Sie hatte dunkle Ränder unter den Augen,
und ich vermutete, dass Paul und ich nicht die Einzigen waren, die in der Nacht nicht geschlafen hatten.
Pauls Miene war eine Maske. «Was haben Sie gefunden?»
Er schien Gardners leichtes Zögern nicht zu bemerken. «Auf der Liege waren blonde Haare. Wir müssen sie mit Proben vom Haar
Ihrer Frau vergleichen, aber wir glauben, dass es keinen Zweifel gibt. Und es sieht so aus, als hätte York bei dem Aufprall
einen ziemlichen Schlag abbekommen.»
Er führte uns um den Wagen herum. Die Fahrertür war geöffnet, sodass wir in die schmuddelige, abgenutzte Kabine schauen konnten.
Das Lenkrad war verzogen und ein Stückchen zur Seite geneigt.
«Er muss mit ziemlicher Wucht gegen das Lenkrad geknallt sein, um es so zu verbiegen», sagte Gardner. «Würde mich nicht wundern,
wenn er sich dabei ein paar Rippen gebrochen hat.»
Zum ersten Mal huschte Paul ein leichter Hoffnungsschimmer über das Gesicht. «Dann ist er also verletzt? Das ist gut, oder?»
«Vielleicht», entgegnete Gardner unverbindlich, als würde er etwas zurückhalten. Aber Paul war wieder zu geistesabwesend,
um es zu bemerken.
|348| «Ich würde gerne eine Weile hierbleiben.»
«Fünf Minuten. Dann müssen Sie nach Hause fahren.»
Wir ließen Paul allein. Ich wartete, bis wir außer Hörweite waren.
«Was verheimlichen Sie ihm?»
Gardner sah mich mit zusammengekniffenen Augen an, aber was auch immer er hatte sagen wollen, blieb unausgesprochen, weil
ihn jemand aus dem Wagen der Spurensicherung rief.
«Er kann es ruhig wissen», sagte er dann zu Jacobsen, bevor er so steif wie immer davonging.
Durch die Ringe unter ihren Augen wirkte Jacobsen noch ernster. «Wir haben Blutspuren im Krankenwagen gefunden. Auf der Liege
und auf dem Boden.»
Ich musste daran denken, wie ich Sam das letzte Mal gesehen hatte.
O mein Gott.
«Finden Sie nicht, dass Paul ein
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