Leichenblässe
Recht hat, das zu erfahren?»
«Ja, aber nicht jetzt. Nicht alle Spuren sind frisch, und wir können nicht mit Sicherheit sagen, ob überhaupt welche von seiner
Frau stammen.» Sie schaute kurz hinüber zu Paul, der vor dem Krankenwagen Wache hielt. «Dan ist der Meinung, dass es ihm im
Moment kaum helfen wird, wenn er davon weiß.»
Ich fand mich widerwillig damit ab. Mir gefiel es zwar nicht, Paul Informationen vorzuenthalten, aber seine Phantasie quälte
ihn bestimmt schon genug.
«Wie haben Sie den Krankenwagen gefunden?», fragte ich.
Sie strich sich eine Haarsträhne zurück, die ihr ins Gesicht gefallen war. «Uns wurde ein Autodiebstahl gemeldet. Ein blauer
Chrysler-Geländewagen. Ungefähr eine Viertelmeile von hier befinden sich Ferienhütten, zu denen keine Straße führt. Die Bewohner
lassen ihre Wagen hier stehen und gehen |349| zu Fuß weiter. Deswegen hat York wahrscheinlich diese Stelle gewählt. Selbst in dieser Jahreszeit sind meistens ein oder zwei
Hütten vermietet. Jeder, der sich in der Gegend auskennt, weiß, dass hier Autos stehen.»
Ich schaute hinüber zu dem verbeulten Krankenwagen. Er war mitten auf der Lichtung abgestellt worden, nur wenige Meter von
einem Dickicht aus Lorbeerbüschen entfernt. «York hat sich nicht viel Mühe gegeben, seine Spuren zu verwischen.»
«Das musste er auch nicht. Die Wagen stehen hier manchmal tagelang, während ihre Besitzer im Wald Trapper spielen. York konnte
darauf bauen, dass der, den er gestohlen hat, frühestens heute Morgen vermisst wird, vielleicht noch später. Es war reines
Glück, dass dem Besitzer der Diebstahl aufgefallen ist.»
Glück
. Davon hatten wir bisher nicht viel. «Ich hätte aber damit gerechnet, dass er ihn wenigstens so parkt, dass man die Beschädigungen
nicht gleich sieht.»
Jacobsen zuckte müde mit den Achseln. «Ich glaube, er musste sich um wichtigere Dinge kümmern. Er musste Samantha Avery in
den anderen Wagen bringen, und das dürfte nicht leicht gewesen sein, wenn er tatsächlich verletzt ist. Den Krankenwagen zu
verstecken war bestimmt sein geringstes Problem.»
Wahrscheinlich hatte sie recht. Für York musste der Wagen nur so lange unentdeckt bleiben, bis er aus der Gegend verschwunden
war. Danach spielte er keine Rolle mehr.
«Glauben Sie, dass er die Interstate genommen hat?», fragte ich.
«Es sieht so aus. Sie ist nur wenige Meilen entfernt und führt tiefer in die Berge. Oder er ist nach Westen umgekehrt und
in einen anderen Staat gefahren.»
|350| «Er könnte also sonst wo sein.»
«Ja, so ziemlich.» Sie reckte ihr Kinn und schaute hinüber zu Paul, der noch immer vor dem Krankenwagen stand. «Sie sollten
ihn nach Hause bringen. Es hat keinen Zweck, wenn er hierbleibt.»
«Er hätte es nicht übers Fernsehen erfahren dürfen.»
Sie nickte und nahm die Kritik hin. «Dan wollte ihn anrufen, sobald er Zeit dafür hatte. Aber wir werden Dr. Avery sofort Bescheid geben, falls wir weitere Neuigkeiten haben.»
Mir fiel auf, dass sie
falls
gesagt hatte und nicht
wenn
. Je länger die Suche dauerte, desto geringer wurde die Chance, Sam zu finden.
Es sei denn, York wollte es.
Während Jacobsen Gardner zum Wagen der Spurensicherung folgte, ging ich zurück zu Paul. Er gab eine traurige Figur ab, wie
er auf den Krankenwagen starrte, als könnte er dadurch erahnen, wo seine Frau war.
«Wir sollten jetzt gehen», sagte ich ruhig.
Er schien keine Kraft mehr zu haben, sich zu widersetzen. Er schaute noch einen Augenblick auf den Krankenwagen, dann wandte
er sich ab und ging mit mir zurück zum Wagen.
Der junge Polizist warf Paul einen strengen Blick zu, als wir auf dem Pfad an ihm vorbeikamen, aber es war umsonst. Paul schien
seine Umgebung nicht wahrzunehmen, als wir den Rastplatz verließen. Erst nachdem wir einige Meilen weit gefahren waren, begann
er zu sprechen.
«Ich habe sie verloren, oder?»
Ich suchte nach den richtigen Worten. «Das kannst du nicht wissen.»
«Doch, ich weiß es. Und du auch. Alle da oben wussten es.» Die Worte strömten jetzt aus ihm hervor wie Wasser aus einem |351| Hahn. «Ich habe die ganze Zeit versucht, mich daran zu erinnern, was ich ihr als Letztes gesagt habe. Aber es fällt mir nicht
ein. Ich habe immer wieder darüber nachgedacht, aber es ist alles leer. Ich weiß, dass es nichts bringt, aber es macht mich
verrückt. Ich kann einfach nicht glauben, dass alles ganz normal war, als ich sie das letzte Mal gesehen habe. Warum
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