Leichenblässe
Gelegenheit, zusammenzuarbeiten›?», witzelte ich.
Der Versuch, seine Stimmung aufzuheitern, schlug fehl. Er rieb sich mit dem Handballen das Brustbein, hörte aber sofort damit
auf, als er merkte, dass ich ihn beobachtete. «Da wusste ich noch nicht, in was ich dich hineingezogen habe.»
«Du hast mich in gar nichts hineingezogen. Ich bin freiwillig dabei.»
Tom nahm seine Brille ab und begann sie zu putzen. Er schaute mich nicht an. «Aber nur, weil ich dich gebeten habe. Vielleicht
wäre es besser, wenn ich Paul oder einen anderen Kollegen frage, ob er mir hilft.»
|130| Ich war überrascht, wie enttäuscht ich war. «Das würde Gardner bestimmt freuen.»
Die Bemerkung löste immerhin ein Lächeln aus. «Persönlich hat Dan nichts gegen dich. Er hält sich nur gern an die Regeln.
Die ganze Öffentlichkeit schaut auf diese Mordermittlung, deswegen steht er als ihr Leiter unter großem Druck und muss Ergebnisse
erzielen. Du bist eine unbekannte Größe für ihn, das ist alles.»
«Ich habe das Gefühl, er möchte, dass das so bleibt.»
Das Lächeln wurde zu einem leisen Lachen, es verging aber schnell wieder. «Betrachte es mal von meiner Warte aus, David. Nach
dem, was letztes Jahr geschehen ist …»
«Letztes Jahr war letztes Jahr», sagte ich, und es war mir etwas heftiger herausgerutscht, als ich gewollt hatte. «Hör zu,
ich weiß, dass ich nur auf deine Einladung hier bin, und wenn du dir lieber von Paul oder jemand anderem helfen lassen willst,
dann ist das völlig in Ordnung. Aber ich kann nicht jedes Mal den Kopf einziehen und davonlaufen, sobald es kompliziert wird.
Das hast du selbst gesagt. Außerdem haben wir jetzt die Nadeln gefunden. Was soll noch passieren?»
Tom starrte nachdenklich auf seine Brille, die er immer noch putzte, obwohl die Gläser mittlerweile sauber sein mussten. Ich
schwieg, denn es war seine Entscheidung. Schließlich setzte er die Brille wieder auf.
«Machen wir uns an die Arbeit.»
Aber die Erleichterung wurde schnell von meinen zurückkehrenden Zweifeln verdrängt. Mit einem Mal fragte ich mich, ob es nicht
doch besser wäre, wenn Paul oder ein anderer Kollege von Tom für mich einsprang. Ich war nicht hierhergekommen, um an einer
Mordermittlung teilzunehmen, außerdem verursachte meine Anwesenheit Spannungen mit Gardner. Tom war genauso stur wie der TB I-Agent , |131| besonders wenn es darum ging, mit wem er arbeitete, aber ich wollte ihm keine Probleme bereiten.
Trotzdem widerstrebte es mir, jetzt auszusteigen. Vielleicht lag es daran, was mit Kyle geschehen war, vielleicht daran, dass
meine fachmännischen Instinkte endlich wieder funktionierten. Jedenfalls hatte sich etwas für mich geändert. Eine lange Zeit
hatte ich das Gefühl gehabt, als würde ein wesentlicher Teil von mir fehlen, als wäre er durch Grace Strachans Messer amputiert
worden. Jetzt hatte sich die alte Besessenheit wieder geregt, das Bedürfnis, die Wahrheit über das Schicksal des Opfers zu
erfahren. Obwohl ich Tom nur assistierte, hatte ich das Gefühl, an der Ermittlung beteiligt zu sein. Ich wäre extrem ungern
einfach davongegangen.
Es sei denn, ich hätte keine andere Wahl.
Während Tom in einem Autopsiesaal damit begann, das Skelett zu rekonstruieren, das nun als dasjenige von Terry Loomis identifiziert
worden war, widmete ich mich in einem anderen Saal der anonymen Leiche aus Willis Dexters Sarg. Sie war abgespült worden,
das zurückgebliebene Gewebe musste jedoch noch entfernt werden. Ich war erst seit kurzem mit dieser Arbeit beschäftigt, als
Tom seinen Kopf durch die Tür steckte.
«Das möchtest du dir vielleicht mal anschauen.»
Ich folgte ihm über den Flur in den anderen Autopsiesaal. Er hatte die großen Knochen der Arme und Beine ihrer anatomischen
Position gemäß auf dem Untersuchungstisch angeordnet. Die anderen Knochen würden schrittweise folgen, bis das gesamte Skelett
wieder zusammengesetzt war. Eine mühsame, aber notwendige Arbeit.
Tom ging zur Stirnseite des Tisches und nahm den gesäuberten Schädel.
|132| «Wunderschön, oder? Ein perfekteres Beispiel für rosarote Zähne habe ich nie gesehen.»
Nachdem das gesamte verweste Gewebe entfernt worden war, war die Verfärbung unverkennbar. Irgendetwas hatte dazu geführt,
dass in Terry Loomis’ Zahnfleisch, während oder kurz nachdem er getötet worden war, Blut eingedrungen war.
Aber was?
«Sein Kopf war nicht so weit zurückgeneigt, dass das durch die
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