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Leichenblässe

Titel: Leichenblässe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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Aufregung ausgeharrt hast,
hat die Anspannung bereits an deiner Vorfreude genagt.
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Doch du bist standfest geblieben. Du hattest das schon zu
lange aufgeschoben. Und du hast Angst gehabt, dass du es
nie tun würdest, wenn du heute Nacht kneifen würdest.
    Dann hast du sie aus der Kneipe kommen sehen. Strauchelnd
hat sie versucht, eine für die Jahreszeit viel zu dünne
Jacke anzuziehen. Sie ist direkt an dem Hauseingang vorbeigetorkelt
, ohne dich zu bemerken. Mit rasendem Herzen bist
du hinter ihr hergelaufen und hast sie durch die verlassenen
Straßen verfolgt.
    Als du vor ihr ein leuchtendes Kneipenschild gesehen hast,
wusstest du, dass die Zeit gekommen war. Du hast sie eingeholt
und bist neben ihr hergegangen. Eigentlich wolltest du
etwas sagen, doch du hast kein Wort hervorgebracht. Selbst
da hat sie es dir leichtgemacht und sich mit trübem Blick
überrascht umgeschaut, ehe sie ihre viel zu roten Lippen zu
einem heiseren Glucksen geöffnet hat.
    Hey, Süßer. Spendierst du mir einen Drink?
    Dein Wagen parkte ein paar Straßen weiter, aber du
konntest nicht warten. Als du an einer dunklen Gasse vorbeigekommen
bist, hast du sie hineingestoßen und zitternd
das Messer gezogen.
    Danach ist alles ganz schnell gegangen. Ein kurzer Hieb,
gefolgt von einem Blutschwall. Es ist vorbei gewesen, ehe es
richtig begonnen hat. Als du keuchend über ihr gestanden
hast, war die Erregung schon längst verflogen.
War es das? War das alles?
    Voller Abscheu und Enttäuschung bist du davongerannt.
Erst später, als du wieder klar im Kopf warst, hast du überlegt,
was du falsch gemacht hast. Du bist zu aufgeregt gewesen
und hast es zu eilig gehabt. Solche Dinge müssen langsam
getan werden, sie müssen
ausgekostet
werden. Wie sollst du
sonst etwas dadurch lernen? In all der Eile hast du sogar vergessen,
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deine Kamera hervorzuholen. Die ganze Sache ist
viel zu plötzlich passiert, auch das mit dem Messer   …
    Das Messer ist auf jeden Fall ein Fehler gewesen.
    Seitdem hast du dich weiterentwickelt. Hast deine Technik
verfeinert und dein Handwerk zu einer Kunstform erhoben.
Mittlerweile weißt du genau, was du willst und was du tun
musst, um es zu bekommen. Dennoch blickst du auf diesen
unbeholfenen Versuch in der dunklen Gasse mit einer gewissen
Rührung zurück. Es ist dein erstes Mal gewesen, und das
erste Mal ist immer eine Katastrophe.
    Erst die Übung macht den Meister.

[ Navigation ]
    |123| KAPITEL 8
    «Dreizehn?»
    Gardner nahm eines der Probengläser vom Stahlwagen und hob es hoch. Wie die anderen enthielt es eine einzelne Spritzennadel,
     die der exhumierten Leiche entnommen worden war, ein dünner, mit einer dunklen Substanz verkrusteter Metallsplitter.
    «Nach der ersten haben wir zwölf weitere gefunden», sagte Tom. Er klang nicht nur erschöpft, man konnte ihm auch deutlich
     die Strapazen des Tages ansehen. «Die meisten steckten im Gewebe von Armen, Beinen und Schultern, an den Stellen also, wo
     man die Leiche anfassen muss, wenn man sie bewegen will.»
    Als Gardner das Glas wieder abstellte, bekam seine lebensüberdrüssige Miene einen angewiderten Zug. Er war allein gekommen,
     und ich hatte versucht, meine Enttäuschung zu verbergen, als ich sah, dass Jacobsen nicht bei ihm war. Wir befanden uns in
     einem freien Autopsiesaal, in den Tom und ich die Überreste gebracht hatten, nachdem wir mit dem Röntgen fertig gewesen waren.
     Die Nadeln hatten sich auf den Aufnahmen als gerade weiße Linien vor einem grauschwarzen Hintergrund abgezeichnet. Tom hatte
     darauf bestanden, jede einzelne selbst zu entfernen, und meine Hilfe abgelehnt. Wenn er die Leiche allein aus dem Sarg hätte
     heben können, hätte er auch das getan. Und bevor er einem von |124| uns erlaubte, die Leiche anzufassen, hatte er sie gründlich mit einem Metalldetektor untersucht.
    Nach dem, was Kyle passiert war, wollte er keine Risiken mehr eingehen.
    Der Assistent hatte den ganzen Nachmittag in der Notaufnahme verbracht und war dann, vollgepumpt mit Breitbandantibiotika,
     nach Hause geschickt worden. Aber gegen manche Erreger, die durch die Nadel in seine Blutbahn gelangt sein konnten, würden
     weder sie noch andere Mittel wirksam sein. Die Ergebnisse einiger Tests sollte er in wenigen Tagen erhalten, andere dauerten
     jedoch wesentlich länger. Erst in ein paar Monaten würde er mit Sicherheit wissen, ob er infiziert worden war oder nicht.
    «Die Nadeln steckten mit den Spitzen nach außen im Fleisch, man konnte die Leiche also

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