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Leichenraub

Leichenraub

Titel: Leichenraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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»auch wenn du sie wegschickst – es scheint, dass das Schicksal euch aneinandergekettet hat.«
    »Wie meinst du das?«
    »Der West End Reaper verfolgt euch beide. Rose glaubt, dass er hinter ihr her ist. Die Nachtwache ist überzeugt, dass du der Reaper bist. Solange er nicht gefasst ist, werdet ihr beide in Gefahr sein, du und Rose.« Wendell drehte sich zu Hepzibahs Tür um. »Und auch das Kind.«

26
    So macht das Geldverdienen doch Spaß, dachte Jack Burke, als er die Water Street hinaufstapfte, angetan mit seinem besten Rock und sauberen Stiefeln. Das ist doch etwas ganz anderes, als im Dunkeln herumzufuhrwerken und Kugeln auszuweichen, um hinterher mit schmutzigen Kleidern und nach Leichen stinkend nach Hause zu kommen. Jetzt, wo der Winter kam und der Boden steinhart gefroren war, würde die ganze Ware ohnehin aus dem Süden kommen, verpackt in Fässern mit Aufschriften wie Eingelegte Gurken , Madeira oder Whiskey . Ein vom Durst geplagter Dieb, der heimlich eines dieser Fässer aufbräche, würde eine feine Überraschung erleben. Stell dir vor, du stemmst den Deckel auf, freust dich schon auf den ersten Schluck – und dann findest du statt Whiskey eine nackte Leiche, eingelegt in Salzlake.
    Da kann einem die Lust am Trinken schon gründlich vergehen.
    Zu viele dieser Fässer kamen inzwischen aus Virginia und den Carolinas. Ob männlich oder weiblich, weiß oder schwarz, die Ware fand einen reißenden Absatz in den medizinischen Hochschulen, deren unstillbarer Hunger nach Leichen von Jahr zu Jahr größer zu werden schien. Er konnte selbst sehen, wie das Geschäft lief. Er hatte die Fässer in Dr. Sewalls Hof gesehen, und er wusste, dass sie keine eingelegten Gurken enthielten. Es war ein erbitterter Konkurrenzkampf entbrannt, und Jack sah vor seinem geistigen Auge die endlosen Wagenkolonnen, alle beladen mit solchen Fässern, in denen die Leichen des Südens herbeigekarrt und zu fünfundzwanzig Dollar das Stück an die Sektionssäle von Boston, New York und Philadelphia geliefert wurden. Wie konnte er da mithalten?

    Da war es doch weitaus bequemer, sein Geld so wie heute zu verdienen, indem er am helllichten Tag mit sauberen Stiefeln die Water Street hinaufmarschierte. Es war nicht die feinste Gegend, aber gut genug für Handwerker, die an diesem klaren, kalten Morgen alle unterwegs waren, ihre Wagen beladen mit Ziegeln, Bauholz oder Stoffen. Es war eine Arbeiterstraße, und der Laden, den er ansteuerte, musste sich gewiss nach dem Geschmack und den Bedürfnissen der arbeitenden Bevölkerung richten. Doch mit dem Frack, der da hinter der staubigen Scheibe ausgestellt war, würde kein Arbeiter etwas anfangen können. Er war aus leuchtend rotem Tuch gefertigt und mit goldener Spitze besetzt; ein Frack, bei dessen Anblick man mitten auf der Straße stehen blieb und von einem besseren Leben zu träumen begann. Ein Frack, der sagte: Auch ein Mann wie du kann aussehen wie ein Prinz. Ein nutzloses Kleidungsstück für einen Handwerker, und das wusste der Schneider sicherlich auch; dennoch hatte er sich entschlossen, ihn auszustellen, als wolle er kundtun, dass er nach Höherem strebe.
    Ein Glöckchen läutete, als Jack den Laden betrat. Drinnen waren weit alltäglichere Artikel ausgelegt: baumwollene Hemden und Hosen sowie eine enge Jacke aus dunklem Stoff. Auch ein Schneider, der unter Größenwahn litt, musste die praktischen Bedürfnisse seiner Kundschaft befriedigen. Während Jack im Laden stand und den Wollduft einatmete, der sich mit dem scharfen Geruch von Färbemittel mischte, trat ein dunkelhaariger Mann mit einem sauber gestutzten Schnurrbart aus dem Hinterzimmer. Er musterte Jack von oben bis unten, als ob er im Geiste schon für einen Anzug Maß nähme. Er war elegant gekleidet, mit einem Rock, der exakt auf seine schmale Taille zugeschnitten war, und obgleich er nicht sonderlich groß war, hatte er die kerzengerade, steife Haltung eines Mannes, der eine übertriebene Vorstellung von seiner eigenen Statur hat.
    »Guten Morgen, Sir. Womit kann ich dienen?«, erkundigte sich der Schneider.

    »Sind Sie Mr. Eben Tate?«, fragte Jack.
    »Ja, der bin ich.«
    Obwohl Jack seinen guten Rock und ein sauberes Hemd trug, hatte er das deutliche Gefühl, dass seine Kleidung dem kritischen Blick von Mr. Tate nicht standhielt.
    »Ich habe gerade eine schöne Auswahl von Wollstoffen zu günstigen Preisen von der Lowell-Spinnerei hereinbekommen«, sagte Eben. »Gutes Material für einen neuen Mantel.«
    Jack

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