Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leichenraub

Leichenraub

Titel: Leichenraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
Vom Netzwerk:
Ihnen beipflichten.«
    »Ich glaube, selbst der einfältige Billy würde einen besseren Constable abgeben. Mr. Pratt würde mir ohnehin nicht glauben.«
    »Sind Sie da sicher?«
    »Einer wie mir glaubt niemand. Uns Iren muss man doch ständig im Auge behalten, weil wir euch sonst das Geld aus der Tasche ziehen und eure Kinder stehlen. Wenn eure Doktoren uns nicht aufschlitzen und in unseren Brustkörben herumwühlen würden, wie in dem Buch da drüben« – sie deutete auf das Anatomielehrbuch auf Norris’ Schreibtisch – »dann würdet ihr wahrscheinlich denken, wir hätten gar kein Herz im Leib wie ihr.«
    »Oh, ich bezweifle nicht, dass Sie ein Herz haben, Miss Connolly. Und ein großes Herz obendrein, da Sie sich mit Ihrer Nichte eine solche Last aufbürden.«
    »Sie ist keine Last für mich, Sir. Sie gehört zu meiner Familie.« Und außer Meggie hatte sie nun keine Familie mehr.
    »Sind Sie sicher, dass das Kind nicht in Gefahr ist?«

    »Ich habe für ihre Sicherheit gesorgt, so gut ich kann.«
    »Wo ist sie? Können wir sie sehen?«
    Rose zögerte. Wendells Blick war offen und klar, auch hatte er ihr keinen Grund gegeben, an ihm zu zweifeln, und dennoch – es ging hier um Meggies Leben.
    Norris sagte: »Um sie scheint sich alles zu drehen. Bitte, Rose. Wir wollen uns nur vergewissern, dass sie in Sicherheit ist. Und gesund.«
    Es war Norris’ Bitte, die sie schließlich umstimmte. Von ihrer ersten Begegnung im Krankenhaus an hatte sie sich zu ihm hingezogen gefühlt; sie hatte gespürt, dass er anders war als die anderen Herren; dass hier jemand war, an den sie sich in ihrer Not wenden konnte. Und gestern Abend hatte er durch seine Barmherzigkeit ihren Glauben an ihn bestätigt.
    Rose sah aus dem Fenster. »Es ist dunkel genug. Ich gehe nie am helllichten Tag hin.« Sie stand auf. »Jetzt dürfte es sicher sein.«
    »Ich rufe eine Droschke«, sagte Wendell.
    »In die Gasse, in die ich Sie führen werde, passt keine Droschke hinein.« Sie hüllte sich fest in ihren Umhang und wandte sich zur Tür. »Wir gehen zu Fuß.«
     
    In Hepzibahs Welt herrschte ständige Düsternis. Auch wenn Rose sie bei strahlendem Sonnenschein besuchte, drang kaum Licht in den Raum mit der niedrigen Decke. So eifrig war Hepzibah darauf bedacht, es warm zu haben, dass sie die Fensterläden vernagelt und ihre Stube in eine dunkle, enge Höhle verwandelt hatte, in der die hintersten Ecken stets im Schatten verborgen blieben. Und so war es auch, als Rose an diesem Abend die schummrige Stube betrat: Das Kaminfeuer bestand nur noch aus ein paar glimmenden Kohlen, und nirgendwo brannte auch nur eine einzige Kerze.
    Vor Glück strahlend hob Rose Meggie aus dem Korb und hielt das kleine Gesichtchen vor ihres, atmete den vertrauten Geruch ihres Haars, ihrer Haut ein. Meggie antwortete mit einem feuchten Husten, und winzige Finger grabschten nach
einer Strähne von Roses Haar. Auf ihrer Oberlippe glitzerte Schleim.
    »Oh, mein herzallerliebstes Mädchen!«, rief Rose und drückte Meggie an ihre leeren Brüste. Wenn sie sie doch nur selbst hätte stillen können! Die zwei Herren, die hinter ihr standen, waren auffallend still, während sie überschwänglich das Baby begrüßte. Sie wandte sich an Hepzibah. »War sie krank?«
    »Gestern Abend hat sie mit der Husterei angefangen. Sie waren ja ein paar Tage nicht hier.«
    »Ich habe heute Geld geschickt. Billy hat es doch gebracht, oder nicht?«
    Im schwachen Schein des Herdfeuers wirkte Hepzibah mit ihrem fetten Hals wie eine riesige Kröte, die sich in ihrem Sessel breit machte. »Ja, der schwachsinnige Bursche hat’s gebracht. Aber ich brauch noch mehr.«
    »Mehr? Aber das war es doch, was Sie verlangt hatten.«
    »Die wird mich jetzt wach halten, die da, mit ihrer Husterei.«
    »Dürfen wir uns das Baby einmal ansehen?«, fragte Norris. »Wir würden uns gerne davon überzeugen, dass sie gesund ist.«
    Hepzibah beäugte ihn und grunzte skeptisch. »Und was sind Sie für zwei Gentlemen, dass Ihnen so viel an so’nem vaterlosen Wurm liegt?«
    »Wir sind Medizinstudenten, Madam. Uns liegt am Wohl aller Kinder.«
    »Oh, sieh mal einer an!« Hepzibah lachte. »Ich kann Ihnen noch zehntausend andere zeigen, wenn Sie mit der da fertig sind.«
    Norris entzündete eine Kerze am Herd. »Bringen Sie das Baby her, Rose, damit ich sie mir richtig anschauen kann.«
    Rose trug Meggie zu ihm. Die Kleine blickte vertrauensselig zu ihm auf, als er die Decke zurückschlug, ihre Brust untersuchte und den

Weitere Kostenlose Bücher