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Leichenraub

Leichenraub

Titel: Leichenraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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törichten Mädchens? Eines Mädchens, das ich noch nie zu Gesicht bekommen habe?«
    »Wir schätzen beide Rose Connolly als zuverlässige Zeugin ein«, sagte Wendell.
    »Die Zuverlässigkeit eines Mädchens, das ich gar nicht kenne, kann ich nicht beurteilen. Und ich kann auch nicht zulassen, dass Sie einen so angesehenen Mann wie Dr. Sewall verleumden. Ich bitte Sie, ich kenne doch seinen Charakter!«
    »Wirklich, Sir?«, fragte Wendell leise.
    Grenville erhob sich aus seinem Sessel und ging ungestüm ein paar Schritte auf und ab. Schließlich blieb er vor dem Kamin
stehen, mit dem Rücken zu Wendell und Norris. Draußen auf der Beacon Street war abendliche Stille eingekehrt; die einzigen Geräusche waren das Knistern der Flammen und das gelegentliche Knarren der Dielen, wenn die Bediensteten im Haus umhergingen. Just in diesem Moment hörten sie wieder Schritte, die sich dem Salon näherten, gefolgt von einem dezenten Klopfen an der Tür. Ein Dienstmädchen erschien mit einem Tablett voller Gebäck.
    »Entschuldigen Sie die Störung, Sir«, sagte sie. »Aber Mrs. Lackaway hat mich gebeten, den jungen Herren das hier zu bringen.«
    Grenville wandte nicht einmal den Blick vom Kamin, sondern sagte nur brüsk: »Stellen Sie es hin. Und machen Sie die Tür hinter sich zu.«
    Das Mädchen setzte das Tablett auf einem Beistelltisch ab und zog sich rasch zurück.
    Erst als das Geräusch ihrer Schritte auf dem Flur verhallt war, sagte Grenville: »Dr. Sewall hat meinem Neffen das Leben gerettet. Ich verdanke ihm das Glück meiner Schwester, und ich weigere mich zu glauben, dass er in irgendeiner Weise in diese Morde verwickelt ist.« Grenville wandte sich an Norris. »Sie wissen besser als irgendjemand sonst, wie es ist, das Opfer von Gerüchten zu sein. Wenn man all den Geschichten Glauben schenken wollte, die über Sie im Umlauf sind, müssten Sie Hörner und einen Pferdefuß haben. Meinen Sie, dass es so leicht für mich war, mich für Sie einzusetzen? Ihren Platz in unserem College zu verteidigen? Und doch habe ich es getan, weil ich mich weigere, mich von bösartigem Geschwätz beeinflussen zu lassen. Und ich sage Ihnen jetzt, dass es weit mehr als das brauchen wird, um meinen Verdacht zu wecken.«
    »Sir«, sagte Wendell, »Sie haben noch nicht die Namen der anderen Teilnehmer an diesem Treffen gehört.«
    Grenvilles Blick richtete sich auf ihn. »Und die haben Sie auch ausspioniert?«
    »Wir haben nur beobachtet, wer das Haus in der Acorn
Street betreten und verlassen hat. Darunter war auch ein Herr, der mir irgendwie bekannt vorkam. Ich folgte ihm bis zu einer Adresse am Post Office Square – Hausnummer zwölf.«
    »Und?«
    »Es war Mr. William Lloyd Garrison. Ich habe ihn erkannt, weil ich ihn vergangenen Sommer in der Kirche in der Park Street reden hörte.«
    »Mr. Garrison, der Abolitionist? Halten Sie es etwa für ein Verbrechen, für die Befreiung der Sklaven einzutreten?«
    »Ganz und gar nicht. Ich finde seine Einstellung ausgesprochen nobel.«
    Grenville sah Norris an. »Und Sie?«
    »Ich stimme vollkommen mit den Ansichten der Abolitionisten überein«, antwortete Norris. »Aber über Mr. Garrison hört man beunruhigende Dinge. Ein Ladenbesitzer sagte uns...«
    »Ein Ladenbesitzer? Nun, das nenne ich eine zuverlässige Informationsquelle!«
    »Er sagte uns, Mr. Garrison sei des Öfteren gesehen worden, wie er sich in höchst verdächtiger Manier in der Gegend von Beacon Hill herumdrückte.«
    »Auch ich bin oft noch sehr spät unterwegs, wenn meine Patienten mich brauchen. Der eine oder andere würde mein Verhalten vielleicht auch als verdächtig beschreiben.«
    »Aber Mr. Garrison ist kein Arzt. Welchen Grund könnte er haben, zu so später Stunde das Haus zu verlassen? Insbesondere die Acorn Street scheint Besucher von außerhalb des Viertels anzuziehen. Es gibt Berichte von unheimlichen Gesängen, die dort des Nachts zu hören sind, und letzten Monat wurden auf der Straße Blutflecken gefunden. All diese Dinge haben die Menschen in der Nachbarschaft zutiefst beunruhigt, doch als sie sich bei der Nachtwache beschwerten, weigerte Constable Lyons sich strikt, die Vorfälle untersuchen zu lassen. Und was noch merkwürdiger ist: Er gab sogar Befehl, dass die Wache sich ganz und gar von der Acorn Street fernzuhalten habe.«

    »Wer hat Ihnen das erzählt?«
    »Der Ladenbesitzer.«
    »Bedenken Sie, wer Ihre Quelle ist, Mr. Marshall.«
    »Wir wären ja auch skeptischer«, warf Wendell ein, »wäre da nicht

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