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Leichenraub

Leichenraub

Titel: Leichenraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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rief plötzlich der Kutscher, und sie blieben abrupt stehen.
    »Was ist denn da los?«, fragte Pratt und spähte aus dem
Fenster. Sie waren immer noch auf der Brücke. Er rief zum Kutscher hinauf: »Warum halten wir an?«
    »Da liegt etwas im Weg, Mr. Pratt.«
    Pratt stieß die Tür auf und stieg aus. »Zum Donnerwetter! Können die denn nicht dieses Pferd aus dem Weg räumen?«
    »Sie versuchen es ja, Sir. Aber der Gaul da steht nicht mehr auf.«
    »Dann sollen sie ihn zum Abdecker schleifen. Das Vieh hält ja den ganzen Verkehr auf!«
    Durch das Kutschfenster konnte Norris das Brückengeländer sehen. Darunter floss der Charles River. Er stellte sich die kalten, schwarzen Fluten vor. Es gibt schlechtere Gräber, dachte er.
    »Wenn das noch länger dauert, sollten wir den Umweg über die Canal Bridge nehmen.«
    »Sehen Sie, da ist schon der Karren. Gleich werden sie die Schindmähre fortschaffen.«
    Jetzt. Das ist meine einzige Chance.
    Pratt öffnete den Schlag, um wieder einzusteigen. Als die Tür aufschwang, warf Norris sich dagegen und rollte hinaus. Pratt wurde von der Tür umgerissen und ging zu Boden. Er hatte keine Zeit zu reagieren, genauso wenig wie sein Kollege, der jetzt hektisch aus der Kutsche kletterte.
    Norris erhaschte einen Blick auf seine Umgebung: das tote Pferd, das noch an der Stelle lag, wo es vor seinem überladenen Wagen zusammengebrochen war. Die Schlange von Kutschen, die sich hinter der Brücke stauten. Und der Charles River, dessen mondbeschienene Oberfläche die trüben Fluten darunter verbarg. Er zögerte nicht. Es ist der einzige Ausweg, der mir bleibt, dachte er, als er über das Geländer kletterte. Entweder ich ergreife diese Chance, oder ich muss alle Hoffnung fahren lassen. Alles für dich, Rose!
    »Halten Sie ihn! Er darf nicht springen!«
    Aber Norris war schon gesprungen. Er fiel durch die Dunkelheit, durch die Zeit, in eine Zukunft, die er so wenig kannte wie das Wasser, auf das er in diesem Moment zustürzte. Er
wusste, dass der wahre Kampf ihm erst noch bevorstand, und er wappnete sich wie ein Krieger vor der Schlacht.
    Als er in das kalte Wasser eintauchte, war es wie ein brutaler Schlag, mit dem er in einem neuen Leben empfangen wurde. Er sank wie ein Stein, in eine Schwärze, so tief, dass er nicht wusste, wo oben und unten war, und er ruderte blind mit den Armen. Dann sah er das Mondlicht über sich schimmern und kämpfte sich nach oben, bis sein Kopf aus dem Wasser auftauchte. Während er nach Luft schnappte, hörte er Stimmen über sich.
    »Wo ist er? Können Sie ihn sehen?«
    »Alarmiert die Wache! Sie sollen das Ufer absuchen!«
    »Beide Seiten?«
    »Ja, Sie Idiot! Beide Seiten!«
    Norris tauchte wieder hinab in die eisige Finsternis und ließ sich von der Strömung tragen. Er wusste, dass er nicht die Kraft hatte, flussaufwärts zu schwimmen, also gab er sich den Fluten hin und machte den Charles River zu seinem Fluchthelfer. Der trug in vorbei am Lechmore Point, vorbei am West End und immer weiter ostwärts, der Mündung zu.
    Dem Hafen zu.

29
    Gegenwart
     
    Julia stand an der Uferkante und blickte aufs Meer hinaus. Der Nebel hatte sich endlich aufgelöst, und sie konnte die Inseln vor der Küste sehen. Ein Hummerboot glitt über die Wasserfläche, die so still dalag wie ein Tablett aus angelaufenem Silber. Sie hörte Toms Schritte nicht, als er von hinten auf sie zukam, doch irgendwie wusste sie, dass er da war, und spürte seine Nähe, lange bevor er sprach.
    »Ich habe fertig gepackt«, sagte er. »Ich nehme die Fähre um halb fünf. Tut mir leid, dass ich Sie mit ihm allein lassen muss, aber sein Zustand scheint ja stabil zu sein. Jedenfalls hatte er die letzten drei Tage keine Arrhythmien mehr.«
    »Wir kommen schon klar, Tom«, sagte sie, ohne den Blick von dem Hummerboot zu wenden.
    »Es ist ziemlich viel von Ihnen verlangt.«
    »Es macht mir wirklich nichts aus. Ich hatte sowieso vor, die ganze Woche zu bleiben, und es ist wirklich schön hier. Jetzt, wo ich endlich das Wasser sehen kann.«
    »Ist ein hübsches Fleckchen, nicht wahr?« Er trat an ihre Seite. »Zu schade, dass das alles irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft ins Meer rutschen wird. Die Tage dieses Hauses sind gezählt.«
    »Können Sie es nicht retten?«
    »Gegen das Meer kann man nicht ankämpfen. Manche Dinge sind einfach unvermeidlich.«
    Sie schwiegen einen Moment, während sie zusahen, wie das Boot mit einem Grollen des Motors anhielt und der Fischer seine Körbe einholte.
    »Sie

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