Leichenraub
zu akzeptieren, sie vielleicht gar zu lieben. Sie ist ein fleißiges Mädchen und zudem der großherzigste Mensch, den ich kenne. Sie hat wahrlich Besseres verdient als den Empfang, den du ihr bereitet hast.«
»Ich habe nur dein Wohl im Sinn, Junge. Dein Glück. Willst du ein Kind großziehen, das nicht einmal dein eigenes ist?«
Norris stand abrupt auf. »Gute Nacht, Vater.« Er wandte sich ab und wollte hinausgehen.
»Ich versuche nur, dir das Leid zu ersparen, das mir angetan
wurde. Sie lügen dich an, Norris. Sie sind voller Falsch, und du merkst es erst dann, wenn es zu spät ist.«
Norris hielt inne, und plötzlich begriff er. Er drehte sich um und sah Isaac an. »Du sprichst von Mutter.«
»Ich habe versucht, sie glücklich zu machen.« Isaac kippte den Branntwein hinunter und stellte das Glas mit einem Knall ab. »Ich habe alles versucht.«
»Nun, davon habe ich nichts gesehen.«
»Kinder sehen nichts und wissen nichts. Es gibt vieles, was du von deiner Mutter nicht weißt und nie wissen wirst.«
»Warum hat sie dich verlassen?«
»Sie hat auch dich verlassen.«
Auf diese schmerzliche Wahrheit wusste Norris nichts zu erwidern. Ja, sie hat mich verlassen. Und das werde ich nie begreifen. Plötzlich fühlte er sich erschöpft. Er kehrte an den Tisch zurück und setzte sich, während sein Vater sein Glas wieder auffüllte.
»Was weiß ich nicht über Mutter?«, fragte Norris.
»Dinge, die ich selbst hätte wissen müssen. Die mich hätten stutzig machen müssen. Was ein Mädchen wie sie dazu bringt, einen Mann wie mich zu heiraten. Oh, ich bin kein Narr. Ich habe lange genug auf einem Bauernhof gelebt, um zu wissen, wie lange es dauert, bis eine Sau...« Er brach ab und senkte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass sie mich je geliebt hat.«
»Hast du sie geliebt?«
Isaac blickte mit feuchten Augen zu Norris auf. »Als ob das einen Unterschied gemacht hätte! Es war nicht genug, um sie hier zu halten. Du warst nicht genug, um sie hier zu halten.«
Seine Worte, ebenso grausam wie wahr, hingen zwischen ihnen in der Luft wie Pulverdampf. Sie saßen schweigend da und starrten sich über den Tisch hinweg an.
»An dem Tag, an dem sie verschwand, warst du krank«, sagte Isaac. »Erinnerst du dich?«
»Ja.«
»Es war ein Sommerfieber. Du hattest eine solche Hitze im Leib, dass wir schon fürchteten, du würdest sterben. Dr. Hallowell war in dieser Woche nach Portsmouth gefahren, sodass wir uns nicht an ihn wenden konnten. Deine Mutter hat die ganze Nacht an deinem Bett gewacht. Und den ganzen nächsten Tag. Und immer noch ließ das Fieber nicht nach. Wir waren beide sicher, dass wir dich verlieren würden. Und was tut sie? Kannst du dich daran erinnern, wie sie gegangen ist?«
»Sie sagte, dass sie mich liebt. Sie sagte, sie würde wiederkommen.«
»Das hat sie mir auch gesagt. Dass ihr Sohn das Beste verdiente und dass sie dafür sorgen würde, dass du es bekämst. Sie zog ihr bestes Kleid an und verließ das Haus. Und sie kam nie mehr zurück. Nicht an diesem Abend und auch nicht am nächsten. Ich war hier ganz allein, mit einem kranken Jungen, und ich hatte nicht die geringste Ahnung, wohin sie gegangen war. Mrs. Comfort ist gekommen, um bei dir zu wachen, während ich mich auf die Suche machte. Ich suchte sie überall, ich fragte alle Nachbarn, zu denen sie gegangen sein könnte. Ezra meinte gesehen zu haben, wie sie nach Süden ritt, auf der Straße nach Brighton. Jemand anderes hatte sie auf der Straße nach Boston gesehen. Ich konnte mir nicht vorstellen, was sie an einem dieser Orte gewollt haben könnte.« Er machte eine Pause. »Dann stand eines Tages ein Junge vor der Tür, mit Sophias Pferd. Und dem Brief.«
»Warum hast du mir diesen Brief nie gezeigt?«
»Du warst noch zu jung. Erst elf Jahre.«
»Ich war alt genug, um zu verstehen.«
»Den Brief gibt es längst nicht mehr. Ich habe ihn verbrannt. Aber ich kann dir sagen, was drinstand. Ich bin nicht sehr gut im Lesen, das weißt du. Also habe ich Mrs. Comfort gebeten, ihn sich anzusehen, nur um mich zu vergewissern, dass ich alles verstanden hatte.« Isaac schluckte und starrte direkt in die Lampe. »Sie schrieb, sie könne nicht länger mit mir verheiratet sein. Sie habe einen Mann kennengelernt,
und sie würden zusammen nach Paris gehen. Sieh zu, wie du zurechtkommst. «
»Sie muss doch noch mehr geschrieben haben.«
»Da stand sonst nichts. Mrs. Comfort kann es dir bestätigen.«
»Sie hat nichts erklärt? Sie hat keine
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