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Leichenraub

Leichenraub

Titel: Leichenraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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ab, um weiterzugehen.
    Er trottete ihr nach. »Wo gehen Sie denn hin?«
    »Ich hole Eben. Er muss ins Krankenhaus kommen.«
    »Warum?«
    »Weil meine Schwester sehr krank ist.«

    »Wie krank?«
    »Sie hat ein Fieber, Billy.« Nach einer Woche auf der Entbindungsstation war Rose klar, was das bedeutete. Binnen eines Tages nach der Geburt der kleinen Meggie war Aurnias Bauch angeschwollen, ihre Gebärmutter hatte jenen übel riechenden Ausfluss hervorzubringen begonnen, von dem Rose wusste, dass er beinahe unweigerlich der Anfang vom Ende war. Schon so viele andere junge Mütter hatte sie dort auf der Station am Kindbettfieber sterben sehen. Sie hatte den mitleidigen Blick in Schwester Robinsons Augen gesehen, einen Blick, der sagte: Da ist nichts mehr zu machen.
    »Wird sie sterben?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete sie leise. »Ich weiß es nicht.«
    »Ich fürchte mich vor toten Leuten. Wie ich klein war, da hab ich meinen eigenen Pa tot gesehen. Sie haben gewollt, dass ich ihn küssen soll, obwohl seine ganze Haut weggebrannt war, aber ich wollte nicht. War ich ein böser Junge, weil ich’s nicht gemacht hab?«
    »Nein, Billy. Du bist immer ein guter Junge gewesen, seit ich dich kenne.«
    »Ich wollte ihn nicht anfassen. Aber er war mein Pa, und sie haben gesagt, ich muss es tun.«
    »Kannst du mir das ein andermal erzählen? Ich bin in Eile.«
    »Ich weiß. Weil Sie Mr. Tate holen wollen.«
    »Jetzt geh und such dein Hündchen, ja?« Sie beschleunigte ihren Schritt und hoffte nur, dass der Junge ihr nicht folgen würde.
    »Er ist nicht im Logierhaus.«
    Erst nach ein paar Schritten drangen Billys Worte in ihr Bewusstsein. Sie blieb stehen. »Was?«
    »Mr. Tate – er ist nicht in Mrs. O’Keefe’s Logierhaus.«
    »Woher weißt du das? Wo ist er denn?«
    »Ich hab ihn drüben in der Mermaid gesehen. Mr. Sitterley hat mir ein Stückchen Lammpastete geschenkt, aber er hat gesagt, ich soll’s draußen auf der Gasse essen. Da hab ich
Mr. Tate reingehen sehen, und er hat nicht mal guten Tag gesagt.«
    »Bist du sicher, Billy? Ist er immer noch dort?«
    »Wenn Sie mir’nen Vierteldollar geben, bring ich Sie hin.«
    Sie winkte ab. »Ich habe keinen Vierteldollar. Ich finde auch allein hin.«
    »Oder einen Ninepence?«
    Sie ging davon. »Und auch keinen Ninepence.«
    »Einen Large Cent? Einen halben Cent?«
    Rose ging stur weiter und war erleichtert, als sie den Plagegeist endlich abschütteln konnte. Ihre Gedanken waren bei Eben; sie überlegte schon, was sie zu ihm sagen sollte. Der ganze Zorn auf ihren Schwager, den sie so lange zurückgehalten hatte, kochte jetzt in ihr hoch, und als sie die Mermaid erreichte, war sie so weit, dass sie ihm am liebsten wie eine Katze mit ausgefahrenen Krallen ins Gesicht gesprungen wäre. Durch das Fenster sah sie den warmen Schein des Kaminfeuers und hörte gedämpftes Gelächter. Sie war versucht, einfach wieder zu gehen, ohne ihn bei seinem Zechgelage zu stören. Aurnia würde es ohnehin nie erfahren.
    Es ist seine letzte Chance, Abschied zu nehmen. Du musst es tun.
    Sie stieß die Tür der Schenke auf und trat ein.
    In der Hitze, die vom Kamin ausstrahlte, begannen ihre vor Kälte tauben Wangen sogleich zu kribbeln. Sie blieb in der Nähe des Eingangs stehen und blickte sich in der Stube um, wo die Gäste an Tischen zusammensaßen oder am Schanktisch hockten. Eine Frau mit wilder schwarzer Mähne und einem grünen Kleid saß an einem Ecktisch und lachte aus vollem Hals. Mehrere Männer drehten sich zu Rose um, und als sie die Blicke sah, die sie ihr zuwarfen, hüllte sie das Tuch trotz der Hitze noch enger um ihre Schultern.
    »Sie wünschen bedient zu werden?«, rief ihr ein Mann zu, der hinter dem Schanktisch stand. Das muss Mr. Sitterley sein, dachte sie, der Schankwirt, der dem einfältigen Billy einen Bissen Lammpastete zugesteckt hatte, gewiss mit der
Absicht, ihn aus seinem Lokal zu scheuchen. »Miss?«, sagte der Mann.
    »Ich suche nur jemanden«, erwiderte sie. Ihr Blick blieb an der Frau in dem grünen Kleid haften. Neben ihr saß ein Mann, der sich jetzt umdrehte und Rose einen bösen Blick zuwarf.
    Sie ging hinüber und trat an seinen Tisch. Aus der Nähe betrachtet sah die Frau, die neben ihm saß, schon wesentlich unattraktiver aus. Das Mieder ihres Kleids war mit Rumflecken und Speiseresten verschmutzt, und wenn sie den Mund aufsperrte wie jetzt, waren ihre faulen Zähne zu sehen. »Du musst ins Krankenhaus kommen, Eben«, sagte Rose.
    Aurnias Mann zuckte mit

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