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Leichenraub

Leichenraub

Titel: Leichenraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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hoch und zerrte an ihrem Unterrock, ihren Strümpfen, zerriss den Stoff in seiner Gier, an die nackte Haut zu gelangen. Als sie seine Hand auf ihrem bloßen Schenkel spürte, ging ein Ruck durch ihren Körper.
    Wie kannst du es wagen!
    Ihre Faust erwischte ihn unter dem Kinn, und sie spürte, wie seine Kiefer aufeinanderschlugen, hörte seine Zähne zusammenkrachen. Er schrie auf und taumelte zurück, die Hand vor den Mund geschlagen.
    »Meine Zunge! Ich hab mir auf die Zunge gebissen!« Er sah auf seine Hand hinunter. »O Gott, ich blute!«
    Sie lief los. Schon war sie aus der Passage hinaus, doch er
stürzte sich auf sie und bekam eine Handvoll Haare zu fassen. Die Nadeln fielen klimpernd auf das Pflaster, als sie sich loswand und über ihren zerrissenen Unterrock stolperte. Der Gedanke an seine Hand auf ihrem Schenkel, seinen Atem in ihrem Gesicht genügte, um sie rasch wieder auf die Beine zu bringen. Sie raffte den Rock über die Knie und rannte Hals über Kopf in das Labyrinth des Nebels davon. Sie wusste nicht, in welcher Straße sie sich befand oder in welche Richtung sie lief. Zum Fluss? Zum Hafen? Sie wusste nur eines: Der Nebel war ihr Freund; er hüllte sie ein wie ein Mantel, und je tiefer sie darin eintauchte, desto sicherer war sie. Eben war zu betrunken, um mit ihr Schritt halten zu können, geschweige denn, um sich in dem Gewirr von Gassen zurechtzufinden. Schon klangen seine Schritte ferner, seine Flüche verhallten, bis Rose schließlich nur noch das Trappeln ihrer eigenen Füße, das Pochen ihres eigenen Herzens hörte.
    Sie bog um eine Ecke und bliebt abrupt stehen. Durch das Geräusch ihres eigenen Atems hindurch drang plötzlich das Klappern eines vorbeifahrenden Fuhrwerks an ihr Ohr, doch Schritte konnte sie nicht hören. Sie erkannte, dass sie an der Straße nach Cambridge stand und dass sie kehrtmachen müsste, um zum Krankenhaus zurückzugelangen.
    Eben würde damit rechnen, dass sie dorthin zurückging. Er würde ihr auflauern.
    Sie bückte sich und riss den verhedderten Streifen ihres Unterrocks ab. Dann setzte sie ihren Weg in nördlicher Richtung fort, wobei sie sich an die Seitenstraßen und kleinen Gassen hielt und an jeder Ecke stehen blieb, um auf Schritte zu lauschen. Der Nebel war so dicht, dass sie nur die Umrisse eines Wagens erkennen konnte, der sie auf der Straße passierte; das Hufgetrappel des Pferdes schien aus allen Richtungen zugleich zu kommen, das Echo gebrochen und zerstreut von den Dunstschwaden. Sie hängte sich an den Wagen und trottete hinter ihm drein, als er die Blossom Street hinauffuhr, die zum Krankenhaus führte. Falls Eben sie angreifen
sollte, würde sie schreien wie am Spieß, und dann würde der Kutscher gewiss anhalten und ihr zu Hilfe eilen.
    Plötzlich bog der Wagen nach rechts ab, weg vom Krankenhaus, und Rose blieb allein zurück. Sie wusste, dass das Krankenhaus direkt vor ihr lag, an der North Allen Street, aber noch konnte sie es durch den Nebel nicht sehen. Gewiss lauerte Eben bereits dort, um sich auf sie zu stürzen. Sie starrte die Straße hinauf und spürte schon die drohende Gefahr, vermutete Eben in einem dunklen Winkel lauern und auf sie warten.
    Sie machte kehrt. Es gab noch einen anderen Weg in das Gebäude, aber sie würde durch das nasse Gras des Krankenhausangers stapfen müssen, um zum Hintereingang zu gelangen. Am Rand der Grünfläche hielt sie inne. Der Weg, den sie nehmen musste, war vom Nebel verhüllt, doch zwischen den Nebelschwaden konnte sie gerade eben den Lichtschein der Krankenhausfenster ausmachen. Er würde nicht damit rechnen, dass sie im Dunkeln mitten über die Wiese marschierte. Und ganz bestimmt würde er selbst vor so einer Strapaze zurückscheuen, zumal wenn er sich dafür die Schuhe schmutzig machen müsste.
    Sie begann, durch das hohe Gras zu staksen. Die Wiese war vom Regen durchtränkt, und eisiges Wasser sickerte ihr in die Schuhe. Immer wieder verschwanden die Lichter des Krankenhauses hinter Nebelschwaden, und sie musste ein ums andere Mal stehen bleiben, um sich zu orientieren. Da waren sie wieder – weit weg zu ihrer Linken. In der Dunkelheit war sie vom Weg abgekommen, und jetzt musste sie ihren Kurs korrigieren. Die Lichter schienen inzwischen heller, der Nebel lichtete sich allmählich, als sie den sanften Hang zum Gebäude hinaufstieg. Ihre klatschnassen Röcke klebten ihr an den Beinen und machten jeden Schritt zu einer Anstrengung. Als sie endlich von der Wiese auf das Pflaster stolperte, waren

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