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Leichenraub

Leichenraub

Titel: Leichenraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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immer noch wartete.
    »Sind es Stühle? Oder ein Tisch?«
    »Was faselst du denn da?«
    »Die Möbel.«
    Jack ging um den Wagen herum und zog mit einem Ruck die Plane herunter. »Hilf mir beim Tragen.«
    Billy rutschte vom Bock und ging nach hinten zu Jack. »Das ist ja ein Holzklotz.«
    »Du bist ein richtiger Schlaumeier.« Jack packte den Klotz an einem Ende und zog ihn vom Wagen.
    »Ist das Brennholz?«, fragte Billy und nahm das andere Ende. »Muss das nicht erst gehackt werden?«
    »Nur tragen, nicht fragen, ja?« Sie trugen den Klotz zum
Sarg und legten ihn ab. »Und jetzt hilf mir das da rausholen«, befahl Jack.
    Billy warf einen Blick in den Sarg und erstarrte. »Da liegt ja jemand drin!«
    »Komm schon, fass an dem Ende da an.«
    »Aber das ist – das ist ja ein Toter! «
    »Willst du jetzt deinen Ninepence oder nicht?«
    Billys riesige Augen starrten ihn aus seinem bleichen, mageren Gesicht heraus an. »Ich fürchte mich vor Toten.«
    »Die können dir doch nichts tun, du Idiot.«
    Der Junge wich zurück. »Aber sie verfolgen einen. Die Geister, meine ich.«
    »Ich hab noch nie’nen Geist gesehen.«
    Der Junge ging weiter rückwärts und war schon fast am Tor.
    »Billy! Komm gefälligst zurück.«
    Doch stattdessen machte der Junge kehrt und flüchtete aus dem Hof. Wie eine Marionette mit schlenkernden Gliedern verschwand seine Gestalt im Nebel.
    »So ein Taugenichts«, brummte Jack. Er atmete einmal durch, hob den eingehüllten Leichnam auf und rollte ihn aus dem Sarg. Der Körper landete hart auf dem Pflaster.
    Es wurde von Minute zu Minute heller. Er musste schnell arbeiten, bevor ihn jemand entdeckte. Nachdem er den Klotz in den Sarg gewuchtet hatte, legte er rasch den Deckel darauf und nagelte ihn mit wenigen Hammerschlägen wieder fest. Ruhe in Frieden, Mr. Klotz, dachte er grinsend. Dann schleifte er den Körper mitsamt dem Leichentuch, in das er genäht war, über den Hof zu seinem Wagen, wo er innehielt, um seinen Blick über die Straße schweifen zu lassen. Er sah niemanden.
    Und niemand sieht mich.
    Augenblicke später saß er wieder auf seinem Wagen und lenkte das Fuhrwerk die North Allen Street hinunter. Mit einem Blick über die Schulter vergewisserte er sich, dass seine Ladung noch unter der Plane lag. Die Leiche selbst hatte er
sich nicht angesehen, aber das war auch nicht nötig. Ob jung oder alt, Mann oder Frau, jedenfalls war sie frisch, und allein darauf kam es an. Diesmal würde er den Lohn mit niemandem teilen müssen, auch nicht mit dem einfältigen Billy.
    Er hatte gerade neun Pence gespart. Das war die zusätzliche Anstrengung allemal wert.

9
    Als Rose erwachte, fand sie Meggie schlafend an ihrer Seite, und das Gackern und Flattern von Hühnern drang an ihr Ohr, das Rascheln von Stroh. Keines dieser Geräusche war ihr vertraut, und es dauerte eine Weile, bis ihr wieder einfiel, wo sie war.
    Bis ihr wieder einfiel, dass Aurnia tot war.
    Der Kummer packte sie wie eine eiserne Faust und drückte ihr die Brust zusammen, so heftig, dass es ihr einen Moment lang den Atem verschlug. Sie starrte zu den grob behauenen Dachbalken des Stalls empor und dachte: Dieser Schmerz ist mehr, als ich ertragen kann.
    Plötzlich vernahm sie hinter sich ein gleichmäßiges Trommeln, und als sie sich umdrehte, erblickte sie einen schwarzen Hund, der mit dem Schwanz wedelte und dabei gegen einen Ballen Heu schlug. Er schüttelte sich, wobei Strohhalme und Staubkörnchen durch die Luft flogen, und kam dann auf sie zugetrabt, um ihr das Gesicht abzulecken und eine schleimige Spur auf ihrer Wange zu hinterlassen. Sie schob ihn weg und setzte sich auf. Der Hund winselte gelangweilt und tappte die Stufen hinunter. Rose spähte über den Rand des Heubodens und sah ihn an einem Pferd vorbeilaufen, das im Stall angebunden war. Zielstrebig, als hätte er eine wichtige Verabredung, verschwand er durch die offene Stalltür. In der Ferne krähte ein Hahn.
    Sie sah sich auf dem Heuboden um und fragte sich, wo Billy geblieben war.
    Das hier war also sein Unterschlupf. Hier und da entdeckte sie zwischen den Heuballen und rostigen Geräten Spuren seiner Anwesenheit. Eine Mulde im Stroh markierte die Stelle, wo er letzte Nacht geschlafen hatte. Auf einer umgedrehten
Holzkiste standen eine angeschlagene Tasse mit Untertasse und ein Tranchierbrett, wie ein Gedeck für ein feines Diner. Sein Einfallsreichtum entlockte ihr ein Lächeln. Gestern Abend war Billy verschwunden und nach einer Weile mit einem Becher kostbarer

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