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Leichenraub

Leichenraub

Titel: Leichenraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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schon, nur wir nicht. Der Junge wich nicht von ihrer Seite, bis sie schließlich stehen blieb.
    »Gehen Sie denn nicht rein?«, fragte Billy.
    Sie blickte zu Mrs. O’Keefes Logierhaus auf. Ihre müden Füße hatten sie automatisch zu dieser Tür getragen, durch die sie schon so oft gegangen war. Oben im ersten Stock, in dem kleinen Alkoven des Zimmers, das sie mit Aurnia und Eben geteilt hatte, stand gewiss noch ihr schmales Bett. Der dünne Vorhang, mit dem es abgeteilt war, hatte nicht ausgereicht, um die Geräusche aus dem anderen Bett zu dämpfen.
Ebens Lustgestöhn, sein Schnarchen, sein trockener Husten am Morgen. Bei dem Gedanken, wie seine Hände heute Abend ihre Schenkel begrapscht hatten, wandte sie sich mit Schaudern ab und eilte davon.
    »Wo gehen Sie hin?«, fragte Billy.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Gehen Sie nicht nach Hause?«
    »Nein.«
    Er holte sie ein. »Bleiben Sie einfach wach? Die ganze Nacht?«
    »Ich muss einen Platz zum Schlafen finden. Wo es warm ist, wo Meggie nicht frieren muss.«
    »Ist es bei Mrs. O’Keefe nicht warm?«
    »Ich kann da heute Nacht nicht hingehen, Billy. Mr. Tate ist böse auf mich. Sehr, sehr böse. Und ich habe Angst, dass er …« Sie hielt inne und starrte auf die Nebelschwaden, die wie gespenstische Hände nach ihren Füßen zu greifen schienen. »O Gott, Billy«, flüsterte sie. »Ich bin so müde. Was soll ich nur mit ihr machen?«
    »Ich weiß, wo Sie sie hinbringen können«, sagte er. »Es ist ein Geheimversteck. Aber Sie dürfen keinem davon erzählen.«
     
    Das Morgengrauen hatte die Dunkelheit noch nicht verdrängt, als Schielaugen-Jack sein Pferd vor den Wagen spannte und auf den Bock kletterte. Er lenkte das Gefährt zum Hoftor hinaus auf das eisige Kopfsteinpflaster, das im Schein der Laterne wie Glas glitzerte. Zu dieser Stunde war sein Gefährt das einzige, das unterwegs war, und das Klappern der Hufe, das Rattern der Räder hallte unangenhem laut durch die ansonsten totenstille Straße. Die Menschen, die aus dem Schlaf gerissen wurden, wenn sein Wagen draußen vorbeirumpelte, würden denken, dass es bloß irgendein Handwerker war, der seinen Geschäften nachging. Vielleicht ein Schlachter, der seine Schweinehälften zum Markt fuhr, der Steinmetz mit seinen Granitblöcken oder ein Bauer, der die Ställe mit Heuballen
belieferte. Niemals würden diese schlaftrunkenen Bürger in ihren warmen Betten darauf kommen, welche Art von Fracht bald auf diesen Karren geladen würde, der jetzt unter ihren Fenstern vorbeifuhr. Die Lebenden wollten sich lieber nicht mit den Toten befassen, und so blieben die Toten unsichtbar – eingenäht in Leinentücher, vernagelt in Kiefernholzkisten und auf rumpelnden Karren heimlich im Schutz der Nacht davongeschafft. Seht mich an, dachte Jack und lächelte grimmig, ich bringe fertig, wozu euch allen der Mumm fehlt. Oh, mit der Leichenräuberei konnte man ein hübsches Sümmchen verdienen. Das Hufgetrappel des Pferdes schlug den Takt zu diesen poetischen Worten, die ihm immer wieder durch den Kopf gingen, während sein Wagen ostwärts fuhr, auf den Charles River zu.
    Ein hübsches Sümmchen. Ein hübsches Sümmchen.
    Und wo immer es etwas zu verdienen gab, war Jack Burke nicht weit.
    Direkt vor der Nase seines Pferdes tauchte urplötzlich eine kauernde Gestalt aus dem Nebel auf. Jack zog hart die Zügel an, und das Tier blieb schnaubend stehen. Ein junger Bursche sprang auf und begann, im Zickzack über die Straße zu laufen, wobei er die langen Arme schwenkte wie Windmühlenflügel.
    »Böses Hundchen! Böses Hundchen, komm sofort zurück!«
    Der Hund jaulte auf, als der Junge sich auf ihn stürzte und ihn im Nacken packte. Das zappelnde Tier fest im Arm, richtete der Bursche sich auf und machte große Augen, als er plötzlich Jack erblickte, der ihn aus dem Nebel heraus anstarrte.
    »Billy, du verdammter Schwachkopf«, fuhr Jack ihn an. Oh, er kannte den Burschen nur zu gut, diesen kleinen Plagegeist – überall lief er einem über den Weg, immer auf der Suche nach einer kostenlosen Mahlzeit, einem Schlafplatz für die Nacht. Mehr als einmal hatte Jack den einfältigen Billy schon von seinem Hof jagen müssen. »Aus dem Weg! Um ein Haar hätte ich dich überfahren!«

    Der Junge glotzte ihn nur verständnislos an. Er hatte jede Menge schiefe Zähne im Mund, und sein Kopf war zu klein für den Körper des schlaksigen Jünglings. Er grinste blöde, während der Köter in seinen Armen zappelte. »Er kommt nicht immer, wenn ich

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