Leichenraub
ihn rufe. Er muss lernen, sich zu benehmen.«
»Kannst nicht mal für dich selber sorgen und musst unbedingt einen Hund haben, wie?«
»Er ist mein Freund. Er heißt Tüpfel.«
Jack musterte den schwarzen Köter, der, soweit er erkennen konnte, keinen einzigen Tüpfel am Leib hatte. »Na, das ist ja vielleicht ein cleverer Name, und so ungewöhnlich.«
»Wir sind losgegangen, um ein bisschen Milch zu besorgen. Babys brauchen Milch, nicht wahr, und sie hat schon alles getrunken, was ich ihr gestern gebracht habe. Da wird sie heute Morgen Hunger haben, und wenn sie Hunger haben, dann schreien sie.«
Was redete der Narr denn da? »Geh mir aus dem Weg«, sagte Jack. »Ich habe dringende Geschäfte!«
»In Ordnung, Mr. Burke!« Der Junge trat zur Seite, um das Fuhrwerk passieren zu lassen. »Ich werde mir auch mal ein Geschäft zulegen.«
Na klar, Billy. Ganz bestimmt wirst du das. Jack ließ die Zügel schnalzen, und der Wagen rollte mit einem Ruck an. Das Pferd war erst ein paar Schritte gegangen, als Jack es abrupt zum Stehen brachte und sich zu Billy umdrehte. Die spindeldürre Gestalt des Jungen war schon halb vom Nebel verschluckt. Der Junge musste mindestens sechzehn oder siebzehn sein, aber er war nur Haut und Knochen, ungefähr so kräftig wie eine klappernde Holzpuppe. Trotzdem, ein zusätzliches Paar Hände konnte nicht schaden.
Und billig wäre er auch.
»He, Billy!«, rief Jack. »Willst du dir einen Ninepence verdienen?«
Der Junge lief auf ihn zu, ohne das unglückselige Hundchen aus seinem Würgegriff zu entlassen. »Womit, Mr. Burke?«
»Lass den Hund laufen und steig auf.«
»Aber wir müssen Milch besorgen.«
»Willst du jetzt deinen Ninepence oder nicht? Davon kannst du dir dann Milch kaufen.«
Billy ließ den Hund fallen, der sofort davonlief. »Geh schön nach Hause!«, befahl Billy ihm. »So ist’s brav, Tüpfel!«
»Steig auf, Junge.«
Billy kletterte auf das Fuhrwerk und pflanzte seinen mageren Hintern auf den Bock. »Wo fahren wir hin?«
Jack ließ die Zügel schnalzen. »Das wirst du schon sehen.«
Sie fuhren durch die wabernden Nebelschleier dahin, vorbei an Häusern, deren Fenster schon hier und da von Kerzenschein erhellt wurden. In der Ferne war Hundegebell zu hören, doch hier waren die einzigen Geräusche das Klappern der Hufe und das Rumpeln der Räder, die durch die enge Gasse rollten.
Billy drehte sich zur Ladefläche um. »Was ist denn da unter der Plane, Mr. Burke?«
»Nichts.«
»Aber da ist doch was. Ich kann’s doch sehen.«
»Willst du dir einen Ninepence verdienen? Dann halt die Klappe.«
»Na schön.« Der Junge war ungefähr fünf Sekunden lang still. »Wann krieg ich denn das Geld?«
»Wenn du mir geholfen hast, etwas zu transportieren.«
»So wie’n Möbeltransport?«
»Genau.« Jack spuckte auf die Straße. »So was wie’n Möbeltransport.«
Sie hatten jetzt fast den Charles River erreicht und ratterten die North Allen Street hinauf. Der Morgen rückte näher, aber der Nebel war immer noch dicht. Je näher Jack seinem Ziel kam, desto mehr schienen die weißen Schwaden, die vom Fluss herüberzogen, den Wagen einzuhüllen wie ein schützender Mantel. Als sie endlich anhielten, konnte Jack nur noch wenige Schritte weit sehen, doch er wusste genau, wo er war.
Und Billy wusste es auch. »Was machen wir denn hier am Krankenhaus?«
»Warte hier«, wies Jack den Jungen an. Er sprang vom Wagen, und seine Stiefelsohlen schlugen hart auf die Pflastersteine.
»Wann transportieren wir denn die Möbel?«
»Ich muss erst sehen, ob sie auch da sind.« Jack öffnete das Tor und trat in den Hinterhof des Krankenhauses. Er musste nur wenige Schritte gehen, bis er entdeckte, was er vorzufinden gehofft hatte: einen frisch vernagelten Sarg. Der Name A. Tate war auf den Deckel gekritzelt. Er hob ihn an einem Ende an, um das Gewicht zu prüfen, und konnte sich vergewissern, dass tatsächlich jemand darin lag und der Sarg bald abtransportiert würde. Zum Armenfriedhof gewiss, nach den groben Kiefernholzbrettern zu urteilen.
Er machte sich daran, den Deckel aufzustemmen. Es ging recht schnell, da er nur mit wenigen Nägeln befestigt war. Niemand achtete darauf, dass die Leiche eines Almosenempfängers in ihrem Sarg sicher verwahrt war. Er hob den Deckel ab und warf einen Blick auf die in ein Leinentuch gehüllte Leiche. Nicht besonders groß, wie es schien; mit der wäre er auch ohne den einfältigen Billy fertig geworden.
Er ging zum Wagen zurück, wo der Junge
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