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Leichenroulette - Roman

Leichenroulette - Roman

Titel: Leichenroulette - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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entströmte, griffen in ihre zerknitterten, altmodischen Handtaschen, die sie für den Festtag hervorgekramt hatten, und steckten mir Geldbeträge zu. Andere wiederum trugen mit allerlei sinnigen Geräten zur Haushaltsgründung des jungen Paares bei.
    Einen Fremdkörper in dem archaischen Treiben bildete Poldis »Pepi-Großonkel«, den ich bei dieser Gelegenheit kennenlernte. Die biedere Landbevölkerung musterte ihn mit einer Mischung von Achtung und Verachtung, die Unsicherheit verriet. Er war ihrer Überzeugung nach aus der Art geschlagen, hatte seiner Heimat früh den Rücken gekehrt und in Wien Meteorologie – »Was is des eigentlich?« – »Aha, a Wetterfrosch! Wia im Fernsehen!« – studiert. Ironisch, lässig, sportlich-elegant gekleidet, ein Herr vom Scheitel bis zur Sohle, verfolgte er das Treiben der von ihm nur »Rustici« genannten Landbevölkerung mit milder Nachsicht. Sein gepflegtes Hochdeutsch machte die jungen Bauernburschen, die ihn nicht kannten, stutzig. »Is des a Deitscher? Er redt so g’schwollen.« Der ob seines Gehabes in der Art eines englischen Gentlemans nur »Sir« genannte, nunmehr angeheiratete Verwandte zog meinen Vater in seinen Bann. Bald waren die Herren in ein angeregtes Gespräch über die Niederungen der österreichischen Politik vertieft.
    Mein Eheleben, in das ich im Vertrauen auf die kommenden Bestseller meines akademisch gebildeten Mannes große Erwartungen setzte, begann mit kurzen Flitterwochen im herrlichen Florenz. Sie waren schrecklich ernüchternd: fader kurzer Sex im Zimmer einer billigen Pension mit durchhängenden, knarrenden Betten und einer schmutzigen Dusche, deren grauer Plastikvorhang eine Tendenz hatte, am Körper zu kleben. Endlose Führungen meines enthusiastischen Ehemannes durch ich weiß nicht mehr wie viele Kathedralen, Klöster und Paläste, endlose Beschreibungen von Altarbildern und hässlichen Grabmonumenten, die ich auf hartem Steinpflaster und von einem Bein auf das andere tretend mühsam ertrug, vergällten mir die Zeit in der Stadt am Arno. Bald plagten mich höllische Rückenschmerzen, und ich war froh, als wir abreisten.
    Mit einem Darlehen von Poldis Eltern – sie hatten für ihren Sohn einen Wald verkauft, während die meinen bedauernd abwinkten – gingen wir an die Gründung einer eigenen Existenz. Anfangs dachten wir an ein Fertighaus und suchten zu diesem Zweck die »Blaue Lagune« am südlichen Rande Wiens auf, dort, wo die Großstadt am hässlichsten ist, um eine Ansammlung von preiswerten Musterhäusern zu besichtigen. Ein beflissener, korrekt mit einem billigen dunklen, leicht verknitterten Anzug samt rosa Krawatte bekleideter Verkäufer mit dem Gesicht eines gierigen Wiesels stürzte sich auf uns, um uns die Vorteile seiner dünnwandigen Eigenheime für Kleinverdiener näherzubringen. »Und das ist unser Verkaufsschlager! Schön, sehr, sehr günstig, prompt lieferbar und vor allem, ganz onkologisch. Alles an diesem Prachtobjekt ist garantiert onkologisch!« Die Aussicht auf inkludierte Krebserkrankungen schreckte mich, die ich sehr auf Nachwuchs hoffte, doch ab.
    Wir durchforsteten alle Zeitungen und stießen im »Penzinger Bezirksblatt« auf das zum Kauf angebotene Häuschen einer Pensionistin. Bei einem Treffen klagte sie, dass ihr »das alles« zu viel geworden sei: »Für meine letzten Jahrln brauch i nur mehr a klane Wohnung mit Balkon, ebenerdig, ohne Stufen. Ich dahatsch des nimmer.« Mit »Na, schaun’s halt mein Häusl an« überreichte sie uns vertrauensselig einen großen Haustürschlüssel und gab uns die genaue Adresse ihres bereits verlassenen Domizils: Tulpengasse 3 im 14. Bezirk. »Es is am Bierhäuslberg. Den kennen’s eh?« Wir verneinten, orientierten uns nach dem Stadtplan und machten uns auf den Weg.
    Die Fahrt führte durch die Hüttelbergstraße, eine sehr schöne grüne Gegend des 14. Wiener Gemeindebezirks mit historistischen, aus der Zeit um 1900 stammenden Prunkvillen. Ich genoss die Fahrt in unserem VW -Käfer sehr – Poldis alter Puch hatte den Geist aufgegeben und war verschrottet worden. Doch dann setzte Leopold ungefragt zu einer seiner Geschichtslektionen an: »Schau, da hat Otto Wagner, einer der berühmtesten Architekten des Fin de Siècle, hier im engen, etwas finsteren Tal des Halterbachs, als man glaubte, die verheerenden Strahlen der Sonne tunlichst meiden zu müssen, gleich zwei überaus prächtige Häuser errichtet. Eines mit Anklängen an den Stil Palladios, mit mächtigem

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