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Leichenroulette - Roman

Leichenroulette - Roman

Titel: Leichenroulette - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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alle Launen des Wetters gewappnetes Zelt errichtet. Einfache hölzerne Tische und Bänke erwarteten die Besucher, die in aufgeräumter Stimmung gruppenweise herbeiströmten. Die nicht mehr ganz jungen »Pulkautaler Buam« standen samt einem ältlichen pseudoländlichen Sänger im Steireranzug bereit, um uns, wie es so schön heißt, »durch den Abend« zu führen. Der Sänger grinste sein Publikum frech an. Anscheinend bedauerte er sich selbst, glaubte fehl am Platz zu sein und sein großes Talent des schnöden Mammons wegen an eine primitive Landbevölkerung zu verschwenden. »Ta, ta, ta, umtata, umtata« dröhnte die Kapelle heimischer Musikanten, während der Entertainer schwungvoll zum Mikrofon griff und hingebungsvoll gängige Schnulzen mit viel Amore zum Besten gab. »Seemann, deine Heimat ist das Meer« trug er den der Scholle verhafteten Bauern vor. Die Sehnsucht nach der Ferne übermannte ihn, mit verdrehten Augen besang er den »Griechischen Wein«, um sich dann der Südsee zuzuwenden. »Wie wär’s mit uns zwei, bist du dabei, ich fahr nach Hawaii« begeisterte die für das Fest herausgeputzten Gäste. Nicht wenige waren in ihren schönsten bunt glänzenden, bequemen Jogginganzügen erschienen. Viele sangen die Refrains der Ohrwürmer aus voller Kehle mit, wobei sie ungeniert große Zahnlücken oder einige wenige verbliebene schwarze Zahnstummel enthüllten. Es ging um Herzeleid, ewige Treue und innige Sehnsucht: »Liebe kann so wehtun, aber sie gibt auch viel!« Sentimentale Gefühlsregungen, die man den in Nutzvieh, Ernten und Forstwirtschaft denkenden Bauern in keiner Weise zugetraut hätte. Die vierschrötigen Landwirte machten eher den Eindruck, als ob sie ihr Liebesleben ganz und gar nach materiellen Erwägungen abwickelten.
    Die Tische bogen sich förmlich unter den schweren Bierhumpen. Von kleinen Papptellerchen mit Miniservietten verschlang man Grillhühner, die sich zuvor, reichlich mit Gewürzen bedeckt, langsam an einem Spieß in einer Ecke des Zeltes gedreht und dabei einen penetranten Duft verströmt hatten. Es gab auch, passend zu den sentimentalen Gesängen, Kulinarisches mit dem Flair weit entfernter Inseln: Schweinesteaks Hawaii, garniert mit Scheiben blassgelber Ananas aus der Dose. Reißenden Absatz fanden auch »Gordon Blö« genannte gefüllte Schweinsschnitzel von riesigem Ausmaß, garniert mit fettigen Pommes Frites. Der Bürgermeister des Ortes ging eingedenk der baldigen Gemeinderatswahl jovial von Tisch zu Tisch und grüßte seine Schäfchen freundlich. »Hamma Glick mit’n Wetter, heut. Unterhalt’s eich nur guat! Und vergesst’s net, spendet’s ordentlich für unsere brave Feuerwehr!« Alle waren per Du. Es wurde gesoffen und gegrölt. Jung und alt bewegte sich wie ein Elefantenballett mit schweren, schlurfenden Schritten über den erhöhten Tanzboden. Außer Atem vom Slow fox mit ihrem um einen Kopf kleineren Mann, sank Poldis Mutter schwer atmend neben mir auf die Bank. »Ah, das tut gut!« Sie nahm einen großen Schluck aus ihrem Bierhumpen, den sie schon fast zur Gänze geleert hatte.
    Der ungewohnte Alkohol löste ihre Zunge und riss sie zu Vertraulichkeiten hin. Mit geröteten Augen betrachte sie freudlos ihren Sohn, der gerade mit seiner Cousine einen kessen Foxtrott auf die roh gezimmerten Planken hinlegte. Dann brach es aus ihr heraus: »Wast, Hermi, ich darf eh Hermi sagen, net wahr?« Ich versicherte ihr, dass sie durfte. »Also wast, Hermi, es is scho traurig. Der Poldl is ja liab. Aber seine Spinne- rein! Warum is er net dobliebn? Wir ham zwanzig Hek tar Landwirtschaft, unsern eigenen Wein, zwanzig Ferkel und Säu, zehn Küh, is a guats Auskommen. Aber er hot in die Stodt miassen! Und mir san allane mit der gonzn Arbeit!« Sie musterte mich, und ihr Blick wurde zweifelnd und kritisch. Deutlich merkte ich, dass sie in mir nicht die ideale zukünftige Schwiegertochter sah, die den abtrünnigen Poldi dem Bauernstand zurückgeben würde.
    Sie irrte nicht. Ein paar Mal ging ich mit einem verheirateten Kollegen meiner Bank ins Kino, aber er machte kein Hehl daraus, dass er nur ein flüchtiges Abenteuer zur Belebung seines eintönigen Ehelebens suchte. Ich bemühte mich weiterhin redlich, versuchte dies und das. Sogar eine Kontaktannonce setzte ich in die Sonntagsausgabe des »Tageskurier«. Es meldeten sich lauter merkwürdige Typen: Ein versoffener Langzeitarbeitsloser, dessen weit geöffnetes Hemd nicht nur eine behaarte Brust, sondern auch ein großes goldenes

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