Leichenroulette - Roman
Portikus und einer grandiosen Auffahrt. Es sollte als Schaustück für zahlungskräftige Bauherren die Künste des Architekten demonstrieren. Und eines für sich selbst. Sag mir, was hat er denn sonst noch in Wien gebaut?« Ich schwieg. »Na, die Stadtbahn natürlich. Das sollte man schon wissen! Die Stadtbahn mit ihren Stationen im Jugendstil, die das Stadtbild von Wien prägen. Bist ja schon hundert Mal damit gefahren!« Ich staunte nur über das völlig veränderte Aussehen der großen Wagner-Villa, die ich von Fotos her kannte. Ein namhafter Künstler hatte das Haus zu seinem Atelier erkoren, es damit vor dem Abriss sowie den Garten vor der Parzellierung gerettet, aber gleichzeitig seinem unwider stehlichen Drang nach greller Farbgestaltung und ebenso bunten pegasusähnlichen Fabelskulpturen keinen Zwang angetan. In einer Orgie von Blau, Violett und Grün hatte er eine Mischung aus der alten Grottenbahn im Wiener Prater und den antiken Tempeln von Knossos auf Kreta geschaffen. Die aus dem Dunkel dichter Bäume unvermittelt auftauchende bunte Monstrosität wirkte niederschmetternd auf mich. »Gott sei Dank ist Wagners zweites Haus der Ge staltungswut der Pseudomoderne entgangen«, meinte Poldi. Ich konnte ihm nur zustimmen. Bescheiden und intim, entsprach es dem persönlichen Geschmack des Architekten, der es als Witwensitz für seine überaus geliebte, viel jüngere zweite Frau vorgesehen hatte. Wie es sich fügte, verschied die Gattin jedoch vor ihrem Mann, der danach die Gegend mied.
In nachdenklicher Stimmung, sinnierend über die unberechenbaren Zufälle des Lebens, fuhren wir in unserem VW -Käfer weiter. Die Idylle der großen, schattigen Gärten mit den riesigen alten Bäumen und dem romantischen Charme einer längst vergangenen Epoche versetzte mich in melancholische Stimmung. 1900, dachte ich, das ist so lange nicht her. Trotzdem kann man sich das Leben in diesen riesigen, jetzt oft verfallenden Gebäuden, die in ihrer Glanzzeit von gro ßen Familien mit Gouvernanten, Köchinnen, Dienstmädchen und Gärtnern bewohnt wurden, eigentlich nicht mehr richtig vorstellen.
Das Vergnügen, in die Vergangenheit einzutauchen, hielt nicht lang an, denn als unser Ziel erwies sich nicht die versunkene, sondern die moderne Welt. Schon von Weitem glotzte uns der Hütteldorfer Bierhäuslberg mit seiner ausnehmend hässlichen Schrebergartenkultur entgegen. Ein ganzes Netz von skurrilen Häusern bedeckte wie ein bösartiges Geschwür besagten Hang, für den die Bezeichnung »Berg« wahrlich übertrieben war. Schmale, enge Straßen, gesäumt von Zerrbildern menschlicher Behausungen, wanden sich hinauf in das Reich der Gartenzwerge mit ihren Zwergengärten und den in winzigen Vorgärten putzig da hinkriechenden Zwergpflanzen. Manche Garagen stan den offen, bis zur Decke hinauf gekachelt, sahen sie aus wie Pissoirs. An den Wänden hingen säuberlich aufgereiht Werkzeuge aller Art.
Das Heim der betagten Pensionistin jedoch entpuppte sich als freundliches Knusperhäuschen mit spitzem Dach, grünen Fensterläden und vollständig überwuchertem Garten. Dichte Hecken schirmten es gegen die Blicke der nahen Nachbarn ab. Im Erdgeschoss gab es einen Mini-Vorraum, ein WC , eine Dusche, eine winzige Einbauküche, ein überraschend geräumiges Wohnzimmer und ein weiteres Zimmer. Im ersten Stockwerk befanden sich noch drei Räume und ein großes Bad. Auf der mit Laub übersäten Terrasse stand eine antiquierte Sitzgarnitur aus Rattangeflecht, daneben lagerten zerbrochene Gartengeräte und verdorrte Kübelpflanzen. Über den Seerosen des Biotops inmitten der Wiese surrten Libellen. Ob hier am Abend Frösche quakten?
Unsere Blicke schweiften in die dunkelgrünen Baumkronen des gegenüberliegenden Waldes. Wir ge nossen die Fernsicht und vergaßen die hinter uns liegende »Bierhäusl-Siedlung«. Für Kinder würde es hier paradiesisch sein!
Wir waren entzückt und entschlossen uns an Ort und Stelle zum Kauf. Die alte Besitzerin setzte, ge rührt von unserer ehrlichen Begeisterung, den Preis etwas herab, überließ uns ihre alten Möbel und wünschte uns Glück. Wir erwarben die günstige Liegenschaft mit dem Geld von Poldis Eltern sowie einem auf zwanzig Jahre anberaumten Bausparkredit, den mir meine Bank gewährte. Die Raten sollten wir pünktlich am 1. jeden Monats abzahlen. Ich war sehr zufrieden. Noch lieber wäre mir allerdings ein altes Haus mit Charakter, großen, hohen Räumen, Stuckaturen und individuellem Aussehen gewesen. Wir
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