Leichenroulette - Roman
durch Ertrinken aufgrund eines Schwächeanfalls nach einer kürzlich überstandenen Grippe.« Ohne Bedenken stell te er den Totenschein aus.
An dieser Stelle brach ich, obwohl die Sache spannend zu werden versprach, ab, da mich der Schlaf übermannte. Ich nahm mir vor, mit unserem »Sir« nochmals über das Buch zu reden.
Ich wusste, wie sehr es Poldi hasste, sein Bett nicht nur mit mir, sondern auch dem Kater zu teilen. Trotz dem trug ich Murli, der sich schnurrend auf meinem Schoß zu einer Kugel eingerollt hatte und die Augen mit einer Pfote bedeckt hielt, mit mir ins Schlaf zimmer.
Schon am darauffolgenden Tag griff ich erneut zu dem Buch, um mehr über die rätselhaften Unglücksfälle zu erfahren, deren Lösung mir der alte Herr nicht hatte verraten wollen.
Es war ein kurioser Zufall, dass Mr Joseph Crossley, der Inhaber jener Pension in Blackpool, wo sich Mr und Mrs Smith im Dezember 1913 einquartiert hatten und Alice Smith auf tragische Weise gestorben war, »The News of the World« las und den groß aufgemachten Bericht über das Ableben der Mrs Lloyd sah. So erfuhr er zu seinem Erstaunen, dass – fast auf den Tag genau ein Jahr nach dem tragischen Unfall in seinem Haus – wieder eine Frau unter frappierend ähnlichen Umständen ums Leben gekommen war. Mr Crossley stutzte. Welch ein Zufall! Oder doch kein Zufall? Als ein Misanthrop, der seinen Mitmenschen aus Prinzip misstraute, schnitt er den Zeitungsartikel aus, legte die alte Notiz über den Unglücksfall in seiner eigenen Pension dazu und schickte beides, auf die Erfahrung und Kompetenz der Polizeibehörden vertrauend, im Januar 1915 an Scotland Yard. Wäre es möglich, dass zwischen dem Badezimmertod der Mrs Lloyd in Islington und dem der Mrs Smith in Blackpool irgendein Zusammenhang bestand? Er bitte die Kriminalpolizei um Untersuchung der Vorgänge!
Wenig später begab sich der für den Bezirk Islington zuständige Detektiv-Inspektor Arthur Neil an den Ort des Geschehens in der Bismarck Rd. 14 und sprach mit der Vermieterin. Ms Blatch erinnerte sich genau. Den Ehemann Mr Lloyd beschrieb sie als mittelgroß, hager, zwischen vierzig und fünfzig Jahre alt, mit verbissenem Gehabe und stechendem Blick. Er war ihr aufgefallen: »Ich bin jetzt seit vierzig Jahren im Gewerbe und an die kuriosen Wünsche von Gästen gewöhnt. Aber so etwas habe ich noch nie erlebt! Vor meinen Augen hat er die gusseiserne Wanne abgemessen!« Als der Mieter nach dem Unfall seiner Frau um Hilfe rief, war Ms Blatch die Stufen zu dem im Halbstock gelegenen Baderaum hinaufgeeilt. Sie kam gerade zurecht, um zu sehen, wie Mr Lloyd den leblosen Oberkörper seiner Frau aus der Wanne zog. Dr. Bates vermochte leider nicht mehr zu helfen, Mrs Lloyd war bereits tot. Nach Erledigung der Beerdigungsformalitäten sei der tieftraurige Mr Lloyd verzogen. Wohin, das wusste die Vermieterin nicht zu sagen.
»Interessant«, dachte ich schläfrig. »Wie mag das nur weitergehen? Recht unheimlich.«
Zurück im ehelichen Schlafgemach war an Ruhe nicht zu denken, denn während ich mich hin und her wälzte, erfüllte ein sonores Schnarchen und Keuchen den Raum. In der Stille der Nacht zog ich Bilanz: »Zugegeben, ich leide unter der proletarischen Umgebung, in der wir leben, aber wenn es uns schlecht geht, sind sie alle stets zur Stelle. Bei Krankheiten geben die Nachbarn Ratschläge, sie gehen in die Apotheke, machen für uns Einkäufe im nahen Supermarkt, denn bei uns am Berg hat natürlich der letzte Lebensmittelladen schon längst zugesperrt.« Die milde Toleranz meiner nächtlichen Gedanken erstreckte sich nicht auf meinen Mann, den ich lange schlaflos und voll Groll betrachtete. »Du bist es«, sprach ich zu dem laut Schnarchenden, »der mir von allen Menschen, die ich kenne, am meisten auf die Nerven geht.« Schließlich stand ich auf und vertiefte mich erneut in die Lektüre.
Das Problem, mit dem sich einst Inspektor Neil im Jahre 1915 konfrontiert sah, faszinierte mich ungemein. Zu frappierend schienen dem Kriminalinspektor – und auch mir – die Übereinstimmung der Unglücksfälle »Smith und Lloyd« zu sein.
Im Zuge eines Lokalaugenscheins überprüften Neil und seine Mitarbeiter das Bad, in dem Mrs Lloyd gestorben war. Es wies keine Besonderheiten auf und enthielt eine in dieser Zeit oft verwendete billige kleine Eisenwanne, deren Länge am Boden 1,25 Meter und am oberen Rand 1,65 Meter betrug. Wie konnte ein gesunder, normal gewachsener Mensch darin ertrinken? Dr.
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