Leichenroulette - Roman
Bates, der die Leiche untersucht hatte, bekräftigte seine ursprüngliche Aussage voll Vehemenz: »Tod durch Unglücksfall. Jede andere Diagnose ist absurd und vom medizinischen Standpunkt aus nicht vertretbar!«
Eines war ihm jedoch ungut aufgefallen. Mr Lloyd hätte nicht die geringste Spur von Trauer gezeigt, hatte nur den billigsten Sarg für seine unter so tragischen Umständen verstorbene Frau bestellt. Der Inspektor hatte peinlicherweise mitgehört, wie der Witwer mit dem Bestattungsinstitut um den Preis des Sargs gefeilscht hatte.
Als Inspektor Neil in sein Büro zurückkehrte, erwartete ihn eine interessante Nachricht. Sie besagte, dass sich Mr Lloyd, bevor er schließlich in der Bismarck Rd. 14 Quartier bezog, auch in einer anderen in der Nähe gelegenen Pension umgesehen hatte. Er hatte dort einige Zimmer besichtigt und sich erkundigt, ob man in der Badewanne auch tatsächlich liegen könne. Als er begann, die Wanne genau abzumessen, hatte ihn die von Misstrauen gepackte Vermieterin unter einem Vorwand aus ihrem Haus gewiesen.
Weitere Recherchen ergaben, dass Mrs Lloyd nur drei Stunden vor ihrem Tod ein Testament verfasst hatte, in dem sie ihren, wie sie es formulierte, geliebten Ehegatten als Alleinerben einsetzte. Darüber hinaus hatte sie an ihrem Todestag in Begleitung von Mr Lloyd ihr gesamtes Guthaben von der Postsparkasse abgehoben. Wenig später meldete die Yorkshire Insurance Company, dass Mrs Lloyd eine hohe Lebens versicherung zugunsten ihres Ehemanns abgeschlossen hatte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war Inspektor Neil überzeugt, einem, mehreren oder sogar einer ganzen Serie von Gewaltverbrechen auf der Spur zu sein.
Schon erstaunlich, wie verdächtig jene wirken, die vom Ableben eines Partners profitieren, schoss es mir durch den Kopf. Auch Leopold und ich hatten, wie Tausende anderer Paare, kurz nach der Hochzeit eine wechselseitige »Lebensversicherung auf Ableben« geschlossen. Ich fand damals, dass dies eine durchaus vernünftige Art der Absicherung war, die man seinem Lebenspartner und den heranwachsenden Kindern einfach schuldete. Da Nachwuchs ausblieb und ich mich selbst erhalten konnte und musste, war mir unsere Police samt ihren vielen kleingedruckten Vereinbarungen herzlich egal. Die fälligen Zahlungen buchte die Bank mittels Dauerauftrag in geringen monatlichen Raten automatisch von unserem Konto ab, und die Höhe der im Ernstfall auszuzahlenden Summe hatte ich schon längst vergessen. Ich werde sowieso nichts davon haben, denn der Poldi bringt mich durch seine unangenehme, pedantische Art ohnehin frühzeitig ins Grab, war meine fatalistische Meinung. Die Überlegung, dass er mich zwar überleben, aber die Früchte seines Wohlstands nicht genießen würde, da er ohne mich hilflos im Schmutz erstickte, bereitete mir einen gewissen Trost.
Nach der Aufnahme des Tatbestands in Islington bat Inspektor Neil seine Kollegen in Blackpool im »Fall Smith« um Hilfe. Diese teilten mit, dass Alice Smith, geb. Burnham, am Tag vor der Hochzeit eine Lebensversicherung in der beträchtlichen Höhe von fünfhundert Pfund zugunsten ihres Gatten abgeschlossen hatte. Außerdem hatte Alice Smith zwei Tage vor der Hochzeitsreise nach Blackpool ein Testament verfasst und hinterlegt, in dem sie all ihre irdischen Güter ihrem, wie sie es formulierte, geliebten Ehemann vermachte. Vier Tage später war sie tot.
»Er hat nicht viel Zeit verloren, dieser Smith-Lloyd«, dachte ich mir. Ich teilte nämlich voll und ganz den bei Inspektor Neil aufkeimenden Verdacht.
Neil suchte am 23. Januar 1915 Sir Charles Mathews, den zuständigen öffentlichen Ankläger, auf, um freie Hand für weitere Ermittlungen zu erhalten. Nach der Schilderung der Verdachtsmomente rief Sir Mathews voll Empörung: »Was wollen Sie eigentlich? Das ist ja unglaublich! Ein Mann soll zwei Frauen ohne sichtbare Gewaltanwendung in ihrem Bad ermordet haben? Sie wissen nicht, auf welche Weise! Glauben aber mehr zu wissen als zwei Ärzte, die den natürlichen Tod der Damen bestätigten! In meinem ganzen Leben habe ich keinen derartigen Unsinn gehört!«
»So eine Ungerechtigkeit!«, empörte ich mich, at mete jedoch erleichtert auf, als man Inspektor Neil den Fall nicht entzog, sondern ihn weiterermitteln ließ.
Die Lektüre der »Badewannenmorde« bereitete mir großes Vergnügen. Überhaupt las ich gern – Krimis, Biografien berühmter Menschen, populäre Erzählungen zur Geschichte Wiens, aber auch Triviales. Es war vor allem
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