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Leichenroulette - Roman

Leichenroulette - Roman

Titel: Leichenroulette - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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sie große Geldscheine zutage, die sie zum Wechseln weiterreichten. Manche notierten sich lange Kolonnen von Gewinnzahlen. Ich hörte gemurmelte Selbstgespräche: »Aha, dreimal 16, das deutet jetzt auf 20. Fünfmal Rot, da muss gleich Schwarz kommen!«
    Auch ich hatte mir eine Strategie ausgedacht. Roulette umfasst 36 Zahlen. Man kann auf das erste, zweite und dritte Dutzend, also die Nummern von 1 –12, 1 3– 24 und 2 5 – 36 setzen. Um das Risiko zu minimieren, wählte ich jeweils zwei der drei Kolonnen. Oder ich versuchte es mit Rot und Schwarz. Auch Gerade und Ungerade sagte mir zu. Sogenannte »Einfache Chancen«, bei denen man auf eine bestimmte Zahl setzt, riskierte ich nicht. Wie sollte ich von 36 Möglichkeiten die richtige erraten? Das schien mir absurd. War ich Nostradamus? Also keine sinnlose Geldvernichtung! Meine Methode bewährte sich. Langsam, aber stetig gewann ich kleine Sümmchen. Auch an den anderen Spieltischen – wir waren abergläubisch und hatten uns getrennt – machte ich bei meinen Freundinnen frohe Gesichter aus.
    Nach einer Stunde verglichen wir unsere Erlöse. Mit insgesamt 3000 Schilling hatten wir den Einsatz verdoppelt. »Was tun wir mit dem Geld?«, fragte Gitta, denn der Abend war noch jung. »Das genügt für das Sacher«, meinte die kundige Heidi. Als Fremdenführerin, die in jeder Saison Hunderte amerikanischer Touristen durch Wien schleuste und sie in den Nobelherbergen betreute, kannte sie sich aus. Der Vorschlag wurde mit Begeisterung aufgenommen, und wir eilten in Wiens vornehmstes Traditionshotel. Genüsslich nah men wir im edlen Plüschambiente des »Roten Salons« Platz, das für seinen Charme berühmte Sacher-Personal umschwirrte uns. Die zarten Klänge eines Pianis ten, der populäre, einschmeichelnde Walzermusik zum Besten gab, versetzten uns in angeregte Laune.
    Bezüglich unserer Menuwahl wurden wir von Heidi genauestens instruiert: »Zuerst leisten wir uns jede ein Glas Sekt. Keine Vorspeise! Man serviert als Ge schenk des Hauses sowieso ein Amuse-bouche, Gebäck und Butter. Das reicht. Dann jede eine Hauptspeise, da zu den guten offenen Blaufränkischen oder Weißburgunder – der Inhalt der Flaschenweine ist auch nicht besser, aber sündteuer! Abschließend Kaffee, selbstverständlich die berühmte Sacher-Mischung. Denn dazu gibt es, obligatorisch serviert auf einem schönen kleinen Tafelaufsatz, köstliche und gleichzeitig kostenlose Petits Fours. Die sparen uns den Nachtisch.«
    In diesem Sinne tafelten wir üppig, aber preisgünstig, inmitten von Wiens bester Gesellschaft. Riesige Porträts von Mitgliedern der Habsburger-Dynastie sowie das überdimensionale Bild eines freundlichen weißen Hundes mit rotem, neckisch gebundenem Halsband – vermutlich der Liebling eines Mitglieds des Herrscherhauses – blickten wohlwollend auf uns herab. Wir ließen die Zeugen vergangener Tage mit Sekt-Orange hochleben, schmausten Wiener Schnitzel, gebackene Leber, Tafelspitz und Backhuhn – alles vom Feinsten –, lachten viel und genossen unseren Triumph über die »Austrian Casinos«. Es war eine Wonne.
    Heidi unterhielt uns mit amüsanten Anekdoten aus ihrem Fremdenführerdasein: »War ich doch unlängst mit einer Gruppe älterer Amerikaner in der Hofburg. Sie wollten die Appartements von Kaiser Franz Joseph und seiner schönen »Sisi« mitsamt der großen, für ein Galadiner von anno dazumal gedeckten k. und k. Hoftafel besichtigen. Damit das ganze mehr historisches Flair bekommt, hat der Touristenverband beim Eingang in die Prunkgemächer zwei junge, als Kaiser und Kaiserin kostümierte Schauspieler postiert. Er trägt eine Uniform wie einst Franz Joseph, sie eine schulterfreie Abendtoilette. Mit ihrer lang wallenden Perücke ähnelt sie wirklich der Elisabeth. Und stellt euch das vor! Die Amis werden verlegen, schauen an ihren T-Shirts und Bermudas hinunter, spucken ihre Kaugummis aus. Ein Dicker versteckt seinen Hamburger, an dem er bis dahin schmatzend gekaut hat, nimmt sein Baseball-Kapperl ab, geht mutig auf den ihm huld voll zunickenden, ganz in seiner Rolle aufgehenden Pseudomonarchen zu und sagt: ›Majesty, we are from Oakland!‹ Seine Frau macht einen ungelenken Hofknicks, die anderen Frauen machen ihr das nach! Sie haben geglaubt, in Austria regieren noch die Habsburger, und die Begrüßung durch die Herrscher gehöre als besondere Ehre für die Oakländer zum Programm!« – »Net möglich, fast achtzig Jahr nach dem Ende der Monarchie«,

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