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Leichensache

Leichensache

Titel: Leichensache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Horst
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sehen muss, aber manchmal hatte ich schon das Gefühl, dass nach Jahren die Angehörigen der Opfer mit der Sache besser abgeschlossen hatten als die Menschen, die dem Täter nahe standen.«
    Langsam müsste ich mal duschen, wird kühl.
    »Das kann wohl sein. So eine Tat reißt sicherlich viele in einen Abgrund.« Kurzes Schweigen. »Nur, in solch einem Fall wird es klar erkennbar, aber glauben Sie mir, hinter vielen Mauern läuft das Grauen viel subtiler ab, die Folgen sind dennoch oftmals nicht viel weniger gravierend.« Blick ins Leere. Wie der redet.
    »Das klingt so wissend.«
    Er schaut rüber, wie aufgewacht, nimmt einen Schluck Wein, lehnt sich zurück.
    »Ich bin achtundfünfzig, da hat man ein Leben hinter sich.« Gequältes Lächeln. »Aber Sie vermuten schon richtig. Wissen Sie, ich war mal Pfarrer. Das ist zwar lange her, aber man bekommt da oft einen Einblick, den viele nicht vermuten.«
    Das ist der Hammer. Pfarrer. Ein Intellektueller, ’n Schluck Bier.
    »Pfarrer?«
    »Ja.« Er lächelt amüsiert.
    »Evangelisch oder katholisch?«
    »Ich war katholischer Pfarrer in einem kleinen Ort im Münsterland. Das ist aber fast fünfzehn Jahre her.«
    »Im Münsterland auch noch.«
    »Hat das so einen schlechten Ruf?« Er trinkt den Rest, nickt, nimmt noch ein Glas.
    »Na ja, scheint ja ’ne ziemlich konservative Ecke zu sein, wie man so hört. Und dann auch noch ein kleiner Ort.«
    Er lehnt sich zurück, denkt kurz nach.
    »Meine Gemeinde war in Ordnung, da hab ich sehr viel Vertrauen erfahren. Das wirkliche Problem ist die Kirchenleitung gewesen, und die ist überall gleich. Ich bin nämlich nicht ganz freiwillig ausgeschieden, müssen Sie wissen, sondern unter unerfreulichen Umständen. Und da hat meine Gemeinde – auch für mich überraschend – sehr viel Engagement gezeigt.«
    Er trinkt. Kurzes Schweigen. Das hört sich nach ’ner heftigen Sache an.
    »Aber es hat nichts genützt?«
    »Nein, hat es letztendlich nicht. Ich habe damals sehr viel Enttäuschungen erlebt, aber auch sehr, sehr viel Vertrauen erfahren. Das tat gut. Trotz aller Rückschläge ist es doch leichter, mit Vertrauen zu leben, denk ich.«
    Es schellt.
    »Das wird mein Bruder sein.« Er stemmt sich hoch, zieht den Mantel an. Ein Dicker mit Glatze kommt die Treppe hoch, braune Jacke, Jogginghose, hält den Zettel in der Hand. Die beiden begrüßen sich mit einem Lächeln.
    »Vielen Dank, Herr Kirchenberg, für den Wein und die Gastfreundschaft.«
    »Jederzeit wieder. Ich will mich nicht aufdrängen, aber wenn Sie mir vertrauen, können Sie auch einen Schlüssel bei mir hinterlegen.«
    Er nickt, die beiden gehen hoch.
    Noch zwei Schluck Bier in der Flasche. Ach ja, Ulla. Wie spät? Halb elf, geht noch.
    »Hi, Ulla, ich bin’s.«
    »Hallo. Was ist los? Gibt’s was Besonderes, dass das nicht bis morgen Zeit hat?«
    »Nur ’n Gedanke, hatte beim Joggen ’ne Idee. Könnte das Sperma unterm Schuh nicht aus ’nem Sexshop stammen, dass der da reingelatscht ist. In so ’ner Kabine?« Kurze Pause.
    »Wie? Also, Sexshop, okay, aber meinst du, da liegt Sperma rum?« Die kennt das nicht. Die war da echt noch nicht drin.
    »Ja, da gibt’s so Kabinen, da ist das möglich.« Wieder kurze Pause.
    »Gut. Das heißt, er müsste unmittelbar vorher in einer von diesen Kabinen drin gewesen sein? Und du meinst, das bringt uns weiter?«
    »Weiß ich nicht, aber möglicherweise. Ist ’ne Chance. Vielleicht ist er irgendwie aufgefallen.« Scheint ja nicht so begeistert.
    »Ja. Ist zumindest ein Ansatzpunkt.«
    »Okay. Wollt ich nur noch mal loswerden. Schlaf gut.«
    »Schlaf gut.«
    Erst mal duschen jetzt, sonst fang ich mir noch einen ein. Die Flamme im Gasofen entzündet sich mit einem dumpfen Schlag, das Wasser rieselt wunderbar warm über den kalten Nacken.

SAMSTAG
    7 Uhr 25
    Beim Bäcker stehen sieben Leute vor dem Tresen. Jetzt schon? Um halb acht? Schade, die dunkle mit den kurzen Haaren ist heute Morgen nicht da. Eine ältere Frau mit Lockenwicklern unterm Kopftuch macht wahrscheinlich den Wocheneinkauf für die gesamte Straße. Bild-Zeitungen liegen neben den Überraschungseiern. Dicke Schlagzeile. Das ist er, der Menschenfresser. Dass den Laden noch keiner in die Luft gesprengt hat. Die mit den Lockenwicklern ist fertig »Zwei Vollkorn, bitte.«
    Frau Gierth von unten macht die Tür auf. Das hat gerade noch gefehlt.
    »Herr Kirchenberg, gut, dass ich Sie mal treffe. Sie leiten doch die Ermittlungen, hab ich gelesen. Wie sieht’s denn aus?«

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