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Leichensache

Leichensache

Titel: Leichensache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Horst
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wozu.«
    Altenkamp kommt wieder, stößt mit dem Arm an den Türrahmen, der Kaffee läuft auf das Fax. Er flucht, stellt die Tasse ab.
    »Hey, sau hier nicht so rum, das sind Akten. Ist dein zweiter Vorname nicht ›Ungeschickt‹?« Ulla schimpft verhalten, gibt ihm ein Tempo. Altenkamp tupft, wischt über das Fax, die Schrift verwischt. Er flucht wieder. Heike lacht still.
    Tuschkasten, dreckige Farbnäpfe, Pinsel in graugrünem Wasser, verschwommene Farben, ineinandergelaufen, Äpfel, Weintrauben, Tomaten, rot. Einige Stellen auf den Tomaten noch feucht, dunkle Tupfer, mit dem Handballen darüber, lange Wischer, Schlieren, bis auf das weiße Tuch unter der Obstschale.
    Telefon.
    »Wiesing, MK. Ja, Herr Meinert, schön, dass es so schnell geklappt hat.« Pause. »Ja, ja, hat Ihnen Ihr Bruder schon gesagt, ja. Meine Frage ist: Haben Sie an den Stiefeln irgendwelche Veränderungen vorgenommen?« Ständig leichtes Nicken. »Hm, in der Mitte, zum Aufhängen.« Sie sieht alle in der Runde der Reihe nach an, blinzelt zuversichtlich mit beiden Augen, Bestätigung. »Gut, Herr Meinert. Wir werden Ihnen heute oder morgen die Stiefel noch einmal vorlegen. Sie sind zu Hause, ja? Wiederhörn.« Sie legt auf, tiefer Seufzer.
    »Er hat an der Innenseite oben Messingnieten eingestanzt, für eine Schnur …« Stille. Keiner rührt sich. Rundumblicke aus den Augenwinkeln.
    Vorgärten, Beine, Jeans in Gummistiefeln, Gras, laufen, nasses Grün in der Dunkelheit, Müllcontainer unter Straßenlaternen, Eile, umsehen, blaue Mülltüten, die Klappe quietscht.
    Da müssen wir hin, Gas geben.
    »Da fahren wir hin, zwei Teams erst mal. Ich fahr mit. Das ist zu diesem Zeitpunkt die interessanteste Spur. Sollte sich die Lage vor Ort anders darstellen, sind wir morgen wieder hier. Ansonsten kommt mindestens noch ein Team nach.«
    »Soll ich mit?« Ulla beugt sich nach vorn, öffnet die Hände. »Wenn da ’ne Menge Spuren anfallen, ist es besser, wir verlegen für ein, zwei Tage. Das gibt sonst unnötige Umhefterei in den Spurenakten. Bei der MK Breulmann hatten wir das auch.«
    Kein schlechter Gedanke. Ulla ist erfahren als Aktenwurm, wenn sie meint, soll sie mitkommen. Kommt sie auch mal raus.
    »Okay. Was du an Akten mitnehmen musst, weißt du selber. Heinz, du hältst hier die Stellung. Sobald wir da sind, geb ich dir unsere Nummer durch, sonst übers Handy. Ich fahr kurz nach Hause und hol mir Zahnbürste und Unterhose, falls wir dableiben. Deine Sachen holen wir dann auf dem Weg.« Ulla nickt. »Teil du die beiden Teams ein. Wer am besten abkömmlich ist. Glowatzki hätt ich gern dabei. Ich informiere Helmut.«
    »Ich möchte auch mit!« Heike hüpft, wedelt mit den Armen vor der Brust wie ein kleiner Vogel, macht ein Kleinmädchengesicht. Soll sie mit Ulla klar machen.
    Ulla räumt zusammen.
    11 Uhr 50
    Der große Koffer ist leer. Das untere Schrankfach im Badezimmer auch. Scheiß Kulturbeutel, wo könnte der denn noch rumfliegen? Wieso eigentlich Kultur? Aber mit Plastiktüte auflaufen sieht auch blöd aus. Egal, sieht ja keiner. Wenn schon, dann wenigstens eine mit Muster. Schuhhaus Martens, schwarze Vögel auf rotem Grund, sieht gut aus.
    Die Schelle.
    Summer drücken, nichts tut sich. Leises Klopfen an der Tür. Oh, schon oben.
    Ayse auf der Fußmatte.
    »Überraschung«, leise, der rechte Unterarm zuckt hoch. Weißes T-Shirt, bunte Weste, barfuß in Birkenstock, dicker Zopf.
    Hitze im Kopf, ein saugendes Vakuum im Bauch.
    »Ayse! Mann, das ist ja ’ne Überraschung, äh …«
    »Sag ich doch.« Sie zieht die Schultern hoch, verlegenes Lächeln. Stille. Irgendwo im Haus fällt eine Tür ins Schloss, der Knall hallt über die Etagen.
    »Ich wollte mich nur kurz verabschieden. Du warst gestern Abend nicht im Lokal, und ich nehme heute den Zug um halb drei. Hab gar nicht damit gerechnet, dass du zu Hause bist, eigentlich wollt ich dir nur ’nen Zettel schreiben.«
    »Wieso das denn, so plötzlich?« Tief durchatmen, Ziehen im Bauch. Das darf nicht wahr sein, ausgerechnet heute. Ulla anrufen, Ausrede, irgendwas mit dem Vermieter? Geht nicht. Die Spur ist wichtig.
    »Komm erst mal rein.« Sacht am Arm ziehen, die Haut ist warm.
    »Ne, ich wollte eigentlich nicht so lange bleiben.« Sie kommt herein. Tür zu. Bleibt im Korridor stehen, Rundumblick.
    »So was Blödes, hab ich ja echt Glück gehabt, dass ich grad zu Hause war. Ich muss nämlich wahrscheinlich über Nacht wegbleiben und wollte nur meine Sachen holen, Zahnbürste und so.«

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