Leichensache
blickt auf.
»Setz dich man gar nicht erst hin, draußen sind die Eltern von Kerstin, die wollen mit dem Leiter sprechen.« Oh, nein. Das muss heute Morgen doch wirklich nicht sein. Der Magen kneift.
»Sind das die beiden vor der Tür?« Nicken. Ulla senkt den Kopf, blickt von unten mitleidig herauf. »Nimm das Vernehmungszimmer, da ist jetzt keiner.« Na, denn. Aber keine Beileidsfloskeln.
Beide wenden die Köpfe, die Frau steht auf, nimmt Haltung an.
»Frau Baum, Herr Baum.« Er erhebt sich langsam, misstrauische Gesichter. »Mein Name ist Kirchenberg, ich leite die Ermittlungen im Mordfall Ihrer Tochter.« Sie folgen ins Vernehmungszimmer, setzen sich vor den Computertisch. Der Aschenbecher quillt über, es riecht stark nach Rauch. Der Mann blickt auf seine Hände, die Frau sitzt auf der Vorderkante der Sitzfläche.
»Sie wollten mich sprechen.«
Die Frau nickt, das Gesicht entspannt sich.
»Ja. Wir wollten, das heißt, mein Mann, äh, nein, wir wollten uns nach dem Stand der Ermittlungen erkundigen. Wir haben hier nun so weit alles geregelt und wollten morgen wieder nach Hause fahren, und da dachten wir …« Sie unterbricht, sieht ihn von der Seite an. Er spielt mit seinen Händen.
Jetzt bloß nichts Falsches sagen. Kopfschmerzen, der Magen drückt.
»Abschließend kann ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt natürlich noch nichts sagen, wir stecken mittendrin in den Ermittlungen. Gerade heute, nach der gestrigen Fernsehfahndung, ist eine große Anzahl Hinweise eingegangen, die natürlich erst einmal alle gesichtet …«
»Sie treten also immer noch auf der Stelle, ja?« Er hebt plötzlich den Kopf, funkelnde Augen.
»Nun, auf der Stelle sicherlich nicht.«
»Und diesen Exbekannten, diesen Hamburger Verbrecher, haben Sie so einfach laufen lassen, wie man hört.« Er steht auf, roter Kopf, pulsierende Schläfen, trommelt mit dem Zeigefinger auf den Monitor. »Wenn ich rausbekomme, dass hier unprofessionell gearbeitet wird, dann werden Sie mich kennen lernen. Ich kenne eine Menge Leute, bis ins Ministerium, die eine Menge zu sagen haben. Es geht hier nicht um irgendwen, sondern um eine Baum, um Kerstin Baum, meine Tochter …«
Er hört abrupt auf, schluckt, sackt zusammen. Stille. Seine Augen werden feucht, er verzerrt das Gesicht, lässt den Kopf sinken. Seine Stirn liegt auf der Oberkante des Monitors. Erst wimmerndes Schluchzen, dann stoßweise gedämpfte Schreie, staccato. Sein Oberkörper zuckt rhythmisch. Die Frau hält die Handtasche, blickt aus dem Fenster.
Meine Güte, erst mal tief durchatmen. Die Schläfen hämmern. Was sagen? Anfassen? Lieber nicht. Der hört gar nicht wieder auf.
Das Zucken wird ruhiger, ein langer, fiepsender Ton. Er richtet sich langsam auf, fällt zurück in den Stuhl, kramt ein Taschentuch heraus. Die Frau wendet den Kopf, verbitterte Miene.
»Das Verhältnis meines Mannes zu Kerstin war in letzter Zeit – sagen wir – etwas gestört.« Sie macht eine Pause, wendet sich ab, bebende Nasenflügel, das Kinn zittert.
»Ja, ich weiß. Beziehungsweise aus der ein oder anderen Vernehmung war dieser Eindruck zu gewinnen.«
Kurzer, fester Blick, dann wendet sie sich wieder ab. Stille. Mit einem Ruck steht sie auf.
»Wir wollen Ihre kostbare Zeit nicht länger in Anspruch nehmen, Herr Kirchenberg, wären Ihnen aber sehr dankbar, wenn wir uns telefonisch nach dem Stand der Ermittlungen erkundigen könnten, zwischendurch.«
»Natürlich, jederzeit.«
Sie sieht ihn über die Schulter an. Er schnäuzt noch einmal, schließt kurz die Augen, steht auf. Beide gehen vor, ihre Absätze hallen auf dem Flur. Er dreht sich um, das Gesicht ist wieder völlig ernst.
»Ich verlange, dass Sie Ihr Äußerstes tun, um den Täter zu finden.« Im Befehlston.
Wir können deine Versäumnisse auch nicht wieder gutmachen, damit musst du schon allein klarkommen, du Arsch.
»Natürlich, Herr Baum.«
Aber das wird er irgendwann auch noch merken. Armes Schwein.
Beide gehen.
11 Uhr 02
Bericht
Am Morgen des Tattages hat das Opfer im Raum 1403 des Traktes B der hiesigen Universität in der Zeit von 10.00 – 11.30 Uhr eine Seminarveranstaltung besucht. Das Seminar wurde geleitet von Pro fessor
Kurt von Goessel, geb. 17.11.37 in Ratibor,
Tel. 801-7713 oder 7718.
Prof. von Goessel wurde heute aufgesucht und zum Opfer befragt. Nach seiner Aussage war Kerstin Baum am Tattag im Seminar, ihm sei jedoch nichts Außergewöhnliches aufgefallen, wobei er allerdings auch nicht speziell auf das Opfer
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