Leichensache
Sie folgt ins Zimmer, stellt sich hinter die Couch, stützt sich auf die Rückenlehne.
»Meine Mitbewohnerin hat angerufen, da gibt es irgendwie Stress mit unserer Wohnung. Das war zwar abzusehen, aber wahrscheinlich müssen wir morgen schon raus. Ich habe aber noch keine neue«, den letzten Satz mit gespielter Verzweiflung, »und da ist es besser, ich regle das selber.«
Stille. Kaffee anbieten, nur für zehn Minuten? Noch am Bahnhof verabreden? Geht doch alles nicht, verdammt.
»Ich würde dir gern ’nen Kaffee anbieten«, Flehen zum Himmel, »aber wir haben da so eine Spur …«
»Ne, ne, lass man, ist lieb gemeint, würde ich auch gerne annehmen«, warmer, lächelnder Blick, »aber ich muss noch packen und so einiges erledigen. Wollte mich aber auf jeden Fall verabschieden.« Sie legt den Kopf schief, lässt den Sessel los, winkt mit der Rechten, geht langsam Richtung Flur.
»Du kannst doch jetzt nicht so einfach abhauen.«
»Ach komm«, besänftigender Tonfall, »Berlin ist ja nicht am Ende der Welt, und ich komme bestimmt mal wieder.« Sie bleibt vor der Wohnungstür stehen, dreht sich um. »Sobald ich meine neue Adresse und Telefonnummer habe, schreib ich dir! Versprochen!« Sie zögert einen Moment, stellt sich auf die Zehenspitzen, weiche Lippen, Wärme, kurz. Sie riecht nach Nikotin und Holz. Ihre Hand auf der Wange, sie drückt sacht mit den Fingern, zupft am Ohr.
»War’n sehr schöner Abend.«
Sie lächelt, wird dann ernst. »Ja, sehr schön«, wieder lächeln, »aber ich schick dir mal ’ne Kassette mit türkischen Komponisten.« Sie schubst sanft, dreht sich, öffnet die Tür. Noch ein Kuss. Das Licht von.der Seite, zeichnet die Maserungen ihrer braunen Iris nach, für zwei Sekunden eine Falte zwischen ihren Brauen.
»Tschüss.«
Sie löst sich, die Birkenstocks machen auf den Fliesen kein Geräusch.
Die Sträucher wischen vorbei, diffuse grüne Striche mit braun dazwischen, die Heuballen in Plastikfolie auf der Wiese gleiten langsamer, aber immer noch zügig. Die Häuser der Reihenhaussiedlung hinter dem See schieben sich träge aus dem Blick, in Zeitlupe, die Schornsteine am Horizont stehen fast still, ganz sacht bewegen sie sich. Die Wolken stehen.
Die Tachonadel ruht zwischen 170 und 180. Ulla kaut und lutscht einen Bonbon, schiebt ihn sich hinter die rechte Backe.
»Ich dachte, du schläfst.«
»Nnhnnh.«
Sie blickt freundlich herüber, dann wieder auf die Straße, wieder herüber, mütterliches Gesicht.
»In zwanzig Minuten sind wir da, kannst noch ’ne Mütze voll nehmen.«
Mal sehen.
Sie überholt eine Lkw-Kolonne, Reifen in Augenhöhe unterbrechen kurz den Blick auf den Horizont, dann wieder blaugraue Hügel im Dunst. Ayse packt jetzt wahrscheinlich.
Bahnhof, Bahnsteig voller Menschen, Koffer, Drahtstühle, Wagenstandsanzeiger. Aufgeregte Gespräche, angespanntes Lächeln, Du-fährst-gleich-Gesichter. Ayse mit Rucksack und Koffer, kommt noch mal, zarter Kuss, steigt ein, steht am Fenster, beugt sich noch mal herunter, noch ein Kuss, ihre Hand im Haar. Pfeifen, der Zug rollt, sie winkt traurig.
Ein gelber Daimler schert aus, Ulla geht schwer in die Bremsen, der Sicherheitsgurt drückt. Sie atmet durch, schüttelt den Kopf, bleibt gelassen.
»Manche träumen echt.«
13 Uhr 55
Gegenüber eine Vitrine mit internationalen Polizeiärmelabzeichen. Auf der Vitrine fünf internationale Polizeimützen. Auch der Bobbyhelm. Natürlich. An der Wand zwei Karten, eine vom Regierungsbezirk, eine Stadtkarte von Münster, fünf rote Stecknadelköpfe. Sieht fast aus wie der große Wagen, fehlt noch eine Nadel für die Deichsel. Könnte man ja mal dazustecken, wenn keiner guckt …
Schmidt und Brokamp brabbeln über Beförderungen. Alles ungerecht, immer die Falschen, Krause ist A 13 geworden, ausgerechnet der hat eben Beziehungen zum Personalrat. Jupiter steht schlecht. Heike sieht aus dem Fenster, Ulla liegt im Stuhl, Kopf an der Wand, Augen geschlossen. Sie blinzelt auf ihre Armbanduhr.
»Glowatzki und Anne könnten auch bald hier sein.«
Zwei Uhr. Die sollen wohl noch kommen. Die Tür fliegt auf.
»Ah, unsere Gäste«, Glatze, grauer Kranz, dunkle Augen, Pullover, Jeans, sympathisch, »Bernd Schwegler. Ich bin Leiter KK 11, ich begrüße euch. Tut mir Leid, dass ihr warten musstet, aber ich bin jetzt erst dazu gekommen, was zu essen, und um zwei macht die Kantine zu, da kennen die kein Pardon.«
»Kein Problem.«
»Ich nehme an, ihr wollt gleich loslegen. Ein Pläuschchen
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