Leichensache
Ich brauche die Akten von allen künftigen Reservisten mit dem Vornamen Marc.« Pause, er nickt mit geschlossenen Lidern, »ja, phonetisch, mit ›c‹ oder mit ›k‹, beides«, Pause, »hm, ja, sofort.« Er legt auf.
»Es dauert eine Weile, schlage vor, Sie nehmen drüben Platz, und ich lasse Ihnen einen Kaffee bringen.« Er zeigt in die Ecke, steht auf, geht.
Ein kleiner runder Tisch, vier Stühle, Trockenblumengesteck, darunter ein kariertes Deckchen, Fransen an zwei Seiten. Die Tür geht auf, ein Uniformierter trägt ein Tablett mit Kanne und Tassen herein. Mein Gott, sieht der jung aus. Wie gerade sechzehn. Für Schwule könnte das hier ein richtiges Paradies sein.
»Ihr Kaffee.« Er deutet Grundhaltung an, geht.
»Wenn du hier Kommandeur bist, kommt vor dir auch nur noch der liebe Gott.« Glowatzki nimmt drei Tütchen Zucker, rührt.
»Ich hoffe, das dauert nicht zu lange.«
»Wenn die es auf Rechner haben, und das nehm ich doch an, müsste das eigentlich ruck, zuck gehen. Wichtig ist, dass die Wierwich kommt.«
Beim ersten Knopfdruck leuchtet das Display vom Handy grün auf, glockenartiges Signal.
»Wiesing, MK Baum.«
»Hallo Ulla, ich bin’s. Es scheint ganz gut zu laufen hier, wir bekommen wahrscheinlich sogar Fotos. Habt ihr die Wierwich schon erreicht?«
»Das ist Gedankenübertragung. Die Wierwich ist nicht zu Hause. Als Röhrig sie bei ihrem Job im Café auch nicht erreicht hat, ist er zu ihrer Mutter. Die hat gesagt, ihre Tochter wäre zu einer Freundin gefahren, um ein paar Tage abzuschalten. Ihr wäre das alles zu viel geworden die letzte Zeit …«
»… bitte?«
»… ja, und die Mutter weiß auch nicht genau, wie die Freundin heißt. Wohnt in Hamburg und heißt Sara, mehr ist nicht.«
»Die wusste doch, dass wir sie brauchen, oder?«
»Na, sicher, das ist ihr deutlich gesagt worden, steht auch in der Vernehmung, aber das hilft jetzt auch alles nichts.«
»So was Blödes. Sonst noch was?«
»Ja. Ich habe Staatsanwalt Nagel gesprochen. Der fragte, ob er herkommen soll, hab ich ihm von abgeraten. Ich habe ihm gesagt, er soll erst mal abwarten, was bei der Sache rauskommt.«
»Gut. Ich melde mich, sobald sich hier was tut.«
»Bis dann.«
Durchatmen.
»Die Wierwich ist weg. Zu einer unbekannten Freundin. Ausspannen.«
Glowatzki hebt die Arme, zieht hörbar die Luft ein, lässt die Hände auf die Oberschenkel klatschen. Macht ein Deppengesicht.
Das Telefon klingelt, im Vorzimmer wird abgenommen, leises Klacken beim Auflegen. Glowatzki hat den Kopf an die Wand gelehnt, döst. Fader Geschmack im Mund, die Schultermuskeln ziehen schmerzhaft. Draußen werden immer noch Kommandos gebrüllt. Verschiedene Stimmen. Weiter hinten das tiefe Grollen eines Diesels. Könnte ein Panzer sein. Vor der Tür ist Schneider zu hören. Er kommt herein, winkt mit beigen Aktenmappen.
»Drei kann ich Ihnen anbieten. Einer davon allerdings heißt Markus. Aber der Junge auf dem Geschäftszimmer ist ein pfiffiges Bürschchen. Marke Mitdenker.« Die Akten klatschen auf den Tisch. »Dann mal zu.« Er stemmt die Hände in die Seiten.
Markus Matthias Jastrzembowski, 04.12.79 in Oldenburg.
Passfoto. Kurze schwarze Haare, tiefer Haaransatz. Sieht aus wie ein Türke.
Glowatzki wählt auf dem Handy, gibt Ulla die Daten durch.
»Steht auch irgendwo etwas über körperliche Eigenschaften?«
»Ja«, Schneider stützt sich mit beiden Händen auf den Tisch, »ein paar Seiten weiter ist der Sani-Bogen.«
Augen: dunkelbraun. Haare: dunkelbraun. Gewicht: 76 kg. Größe 174 cm.
Ein kleiner Dicker. Der nicht.
Marc Trimm, 16.07.79 in Braunschweig.
Kurze Haare, Geheimratsecken, dicke Lippen, Brille. Seite 4.
Augen: blau. Haare: mittelblond. Gewicht: 62 kg. Größe: 178 cm.
Ne, zu klein.
Glowatzkis Atem streift die Wange, riecht dumpf.
Mark Engel, 02.04.81 in Teutschenthal.
Kurze Haare, blond, moderne Frisur, Seite 4.
Augen: blau. Haare: mittelblond. Gewicht: 78 kg. Größe: 186 cm.
Nicht schlecht.
»Kann festgestellt werden, ob die zurzeit in der Kaserne sind?«
Schneider lacht überlegen. »Schon geschehen. Ich sagte doch, der Kamerad auf der Schreibstube ist ein Mitdenker.«
»Hoffentlich hat er nicht zu viel mitgedacht und den Leuten was gesagt.«
»Keine Angst. Ich habe ihn verpflichtet. Also: Nur der Soldat Trimm ist zurzeit hier, die anderen feiern ihre letzten Urlaubstage ab. Sind wahrscheinlich zu Hause.« Er grinst immer noch überlegen.
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