Leichenschrei
oder der des Mannes, der sie gebracht hat?«
»Einen Moment. Hm. Ich kann nichts finden. Ziemlich ungewöhnlich. Dr. Dowling ist sehr gewissenhaft. Hier steht nur, dass der Mann in bar bezahlt hat. Bei dem Tier kann es sich nicht um einen Stammpatienten handeln, sonst hätte Dr. Dowling die letzte Behandlung auf der Karteikarte vermerkt. Ah, aber da ist noch was. Dr. Dowling beschreibt den Hund.« Sie gluckste. »Ja, aber klar doch. Ein Irischer Wolfshund. Reinrassig, wie es aussieht. Interessant.«
»Stimmt. Ich habe schon Bilder von solchen Hunden gesehen. Die sind riesig.«
»Und total gutmütig. Der einzige, von dem ich hier in der Gegend je gehört habe, gehört Sheriff Cunningham.«
4
Das Unvermeidliche
Penny und ich gingen eine Runde Segeln mit dem kleinen Boot, das zum Cottage gehörte. Ich musste nachdenken. Ich fühlte mich von Hank Cunningham vor den Kopf gestoßen. Ich vermutete, dass er nicht nur die Rasse des Hundes kannte, den ich zum Tierarzt gekarrt hatte, sondern sehr wohl auch den Eigentümer.
Winsworth war schon immer eine in sich geschlossene, manchmal geradezu klaustrophobische Stadt gewesen. Das war ihre Stärke und gleichzeitig ihr Fluch. Hank kannte den Mann mit dem Hund, und er beschützte ihn aus irgendeinem Grund, den er für wichtig zu halten schien. Aus einem Grund, der sich für einige interessante Gedankenspiele eignete.
Während des Segelns verzehrte ich ein Thunfisch-Sandwich und eine Diet Coke. Penny schwamm ein bisschen in der Bucht. Für eine Stunde, nicht länger, würde ich alle Probleme an der Küste zurücklassen. Der Wind blähte sanft die Segel. Ich warf unserer Kormoranfamilie etwas Brot zu. Ich las. Und ich döste. Diese Art Tag war das.
Als ich aufsah, starrte ein großer Mann mit einem braunen Stetson vom Kieselstrand zu mir herüber.
Ich drehte bei und segelte zum Ufer.
Sein buschiger Schnurrbart war nach unten gebogen, und er hatte die Stirn gerunzelt. Die Hände in die Hüften gestemmt, beobachtete er, wie ich das Boot an seinem Ankerplatz vertäute. Ich watete ans Ufer. Penny war schneller als ich und tänzelte um den Sheriff herum.
»Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass Sie einen Irischen Wolfshund haben, Sheriff?«, bemerkte ich. »Einen wie den Hund, den ich neulich nachts in die Stadt gefahren habe.«
Er hakte die Daumen in seine Gürtelschlaufen. »Weil mein Charm tot ist, deshalb.«
»Tut mir leid.«
»Mir auch. Haben Sie mal ’ne Minute?«
»Warum nur habe ich das Gefühl, dass Sie mehr als das brauchen?«
»Weil Sie ’ne ganz Schlaue sind.« Er verlagerte sein Gewicht und nahm die Sonnenbrille ab.
Furcht stieg aus meinen Eingeweiden bis zu meiner Kehle auf und würgte mich. »Sie haben die Frau gefunden.«
Er nickte, den Blick starr geradeaus gerichtet. Er sah nicht mich, sondern etwas in seinem Innern.
»In Sachen Trauerbewältigung lege ich gerade eine Pause ein, Sheriff. Das wollten Sie doch, nicht wahr?«
»Ja.«
Wir gingen Richtung Cottage.
»Ich glaube nicht …«, setzte ich an. »Ich brauche eine geistige Auszeit, falls Sie verstehen, was ich meine. Wie wäre es, wenn ich Ihnen ein paar Namen gebe. Gute Leute unten in Boston.«
»Ich habe da ein bisschen recherchiert. Ich weiß von der Geschichte mit dem Schnitter, der all diese Frauen in Boston umgebracht hat … und von Ihnen.«
Ich hielt ihm die Tür auf und warf sie hinter mir zu. »Sehen Sie, so schrecklich das auch war, deshalb bin ich nicht hier.«
»Das dachte ich mir schon.«
»Vergessen Sie’s. Hier geht es nicht um mich, sondern um irgendeine Familie, in der sie gerade eine Tochter oder Schwester oder Frau verloren haben.«
Er legte mir eine Hand auf die Schulter. »Diese Leute brauchen Sie.«
Seine Hand fühlte sich warm und schwer an und weckte Gefühle in mir, die ich lieber ignorierte. Ich schob die Hände in meine Gesäßtaschen. »Ich glaube nicht, dass es gut wäre, wenn ich mich um sie kümmern würde, Sheriff.«
Er presste die Lippen aufeinander. »Das sind gute Leute, Miss Whyte. So etwas wie das passiert hier in Winsworth nicht oft.«
Jetzt reagierte ich gereizt. Wie lange spielte dieser Beamte denn überhaupt schon Sheriff? »Morde passieren immer und überall.«
»Das stimmt. Aber es ist doch etwas anderes, wenn irgendein Perverser Miss Beals Eingeweide mit einem Kampfmesser durchwühlt.«
Ich lehnte die Hüfte gegen die Spüle, rang nach Fassung, tat so, als wolle ich mir ein Wasser holen, egal, irgendetwas, denn ich war blind vor Angst. In
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