Leichenschrei
Annie doch noch vor, ihn zu heiraten.«
Noah zuckte die Achseln. »Wer sagt, dass er nicht Aids hatte?«
»Jetzt kommen Sie aber«, rief ich. »Drew hatte eine Erbkrankheit. Er hatte die Huntington-Krankheit.«
Will sah von Noah zu mir. »Wollen Sie damit sagen, dass es vererbt war, dass er so gezittert hat? Und was ist mit den ganzen Einstichen und Kratzspuren an seinen Armen? Und die Hälfte der Zeit war er total verrückt. Mann, Sie liegen total falsch, Tally.«
»Tue ich das?«, sagte ich und sah Noah scharf an.
»Aber …«, stotterte Will. »Aber so eine Krankheit gibt es doch gar nicht. Oder, Noah?«
Noahs Kiefer mahlten.
»Will«, sagte ich. »Das ist ganz leicht nachzuweisen. Im Krankenhaus gibt es doch Aufzeichnungen. Er war Patient bei Dr. Cambal-Hayward. Ich bin sicher, dass sie Ihnen alles über ihn erzählt, jetzt, wo er tot ist.«
Wills graue Augen blickten verwirrt. »Ich …«
»Es stimmt, Will«, sagte Joy. »Tally hat recht.«
»Aber Noah«, sagte Will. »Du hast mir gesagt, ich soll das Haus anzünden, wegen der Ansteckungsgefahr.«
»Und so wollte Noah an seinen Besitz kommen«, sagte ich. »Stimmt’s?«
Will scharrte mit den Füßen.
»Sag’s ihr, Noah«, meinte Joy.
Noah paffte an seiner Pfeife. »Wie soll ich denn etwas zugeben, was so offenkundig falsch ist?«
Joy setzte Scooter auf ihre andere Hüfte. »Aber es ist wahr. Will hat es mir letzte Nacht erzählt. Du hast ihm furchtbare Angst damit gemacht, als du meintest, Drew hätte das Gleiche wie Tish. Er hat sich Sorgen um Scooter gemacht. Du hast seine Ängste angefacht, Noah. Das weißt du genau.«
Noah schnitt eine Grimasse, als hätte er es mit einer niederen Lebensform zu tun. »Das alles entstammt der wilden Fantasie deines Mannes.« Er wollte mich von seinem Wagen wegschieben.
»Haben Sie Will genötigt, Drew wegen seiner mutmaßlichen Aids-Infektion zu töten?«, fragte ich.
Will deutete auf Noah. »Er weiß, dass ich Drew nicht umgebracht habe. Weil er nämlich weiß, wer es war. Es sollte alles vor zwei Tagen abends über die Bühne gehen.«
Noahs und meine Blicke trafen sich. Ich sah das Wissen in seinen Augen. Und die Wut. Will hatte nicht gelogen.
»Was hat Will in dieser Nacht gesehen, als er hinübergegangen ist, um das Haus anzuzünden? Was, Noah? Wen decken Sie?«
»Sag’s ihr«, meinte Joy.
Noah schenkte uns wieder mal ein weises Nicken. »Als du angerufen hast, Joy, bin ich rausgefahren, um euch zu helfen. Unmöglich.« Er wollte nach dem Türgriff seines Jeeps greifen.
Will packte ihn am Arm. »Ich schwöre bei Gott, Noah, dass ich ihr die Wahrheit sage darüber, was ich gesehen habe.«
»Halt die Klappe«, sagte Noah nur.
Will packte Noah am Hemd. »Ich habe einen Wagen gesehen, stimmt’s, Noah? Und deshalb habe ich das Feuer nicht gelegt. Es war ein großer, alter, schwarzer Wagen, der die Straße zum Camp entlanggerast ist. Ich habe nicht gesehen, wer darin saß, aber ich weiß, dass Drew an die Tür gegangen ist. Ich habe gewartet, um zu sehen, was vor sich ging, und etwa eine Viertelstunde später ist der Wagen wieder gefahren. Kein Beifahrer. Also bin ich wieder nach Hause gegangen und habe dich angerufen. Du meintest, ich soll das Camp am nächsten Tag anzünden, da hätte Drew eine Verabredung mit dir. Und dann ist er nicht gekommen, und du hast erfahren, dass er tot war. Wir wissen doch beide, wer sie alle umgebracht hat, nicht wahr, Noah?«
Noah ragte drohend vor dem zwergenhaften Will auf. »Kein Wort mehr.«
»Wer war in dieser Nacht bei Drew, Noah?«, sagte ich. »Wer war dieser ›Jemand‹, der Drew als Letzter lebend gesehen hat? Jemand, der einen großen, schwarzen Wagen fuhr. Einen alten. Sie decken einen Mörder.«
Noah streckte die Brust heraus, warf Will und Joy einen Blick zu und stieg dann in seinen Jeep. Er ließ den Motor aufheulen.
Ich rannte vorne um den Jeep und setzte mich neben ihn. »Sie decken Daniel, nicht wahr?«
Noah nahm die Pfeife aus dem Mund. »So eine kluge Frau, diese Miss Tally Whyte. Aus der kleinen Nervensäge Emma ist eine große Nervensäge geworden. Was soll das alles? Wozu das alles?«
»Daniel hat seinen Sohn umgebracht, Noah.«
Noah schüttelte den Kopf. »Er hat den armen Jungen von seinen Leiden erlöst, so sehe ich das. Sie können sich ja nicht vorstellen, was für Höllenqualen Daniel wegen dieser Krankheit durchgemacht hat. Zu wissen, dass er die Ursache für diese Erkrankung war. Aus welchem Grund auch immer hat Daniel kaum
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