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Leichenschrei

Titel: Leichenschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vicki Stiefel
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schön.«
    Er warf einen Blick über die Schulter. »Wie haben Sie’s erfahren?«
    »Chip hat es bei Lauras Leichenschmaus ausgeplaudert. Zumindest mir gegenüber. Was ist passiert?«
    »Sie sollten nicht hier sein.«
    »Das ist aber nun mal ein Fait accompli, Hank.«
    Die Polizistin kam auf uns zu. »Kein Problem«, rief Hank und deutete auf mich. »Sie ist okay.«
    Die Frau nickte und gesellte sich wieder zu ihrem Kollegen.
    »Sie gehört zu den State Cops, zur Mordkommission«, sagte Hank. »Den anderen kenne ich nicht. Der Mann im Anzug ist einer der örtlichen Leichenbeschauer.«
    »Und …?«
    »Keine Anzeichen für eine Fremdeinwirkung. Wie es aussieht, war es bei Gary ein Selbstmord. Er ist unter der Last zusammengebrochen.«
    Selbstmord passte überhaupt nicht zu dem Gary, den ich kennengelernt hatte. »Was wird mit der Obduktion?«
    »Darüber denken sie noch nach. Es gibt ja keinen Hinweis auf etwas anderes, Tal.«
    »Als Selbstmord würde er in Massachusetts routinemäßig obduziert.«
    Hank lachte in sich hinein und schüttelte den Kopf, als würde ich es einfach nicht kapieren. »Haben Sie schon bemerkt, dass Sie hier gar nicht in Massachusetts sind, Tally Whyte?«
    »Das habe ich.« Ich hatte angenommen, dass in Maine genau wie in Massachusetts jeder, der ohne Zeugen starb, ebenfalls obduziert wurde. »Wer hat ihn gefunden?«
    Hank rieb sich den Nacken. »Wanderer. Gegen acht.«
    »Wenn es ein Selbstmord ist, wie hat er es dann gemacht?«
    »Hat einen Asthmaanfall herbeigeführt.«
    »Verflixt. Weshalb sind sie so sicher?«
    »Ich gebe ja zu, dass Dottie Zweifel hatte … Zumindest zuerst. Aber hier ist nichts merkwürdig. Alles sauber. Nachvollziehbar. Keine Anzeichen für Fremdeinwirken.«
    »Ich würde Gary gern sehen. Stört Sie das?«
    Hank begleitete mich zu den zwei Beamten von der State Police, stellte mich ihnen vor und erwähnte auch meine Arbeit in Boston. Der Sergeant erklärte sich einverstanden.
    Ich ging zu Gary Pinkham, schloss die Augen und nahm auch ihn in mein Fotoalbum der Toten auf. Es tut mir leid, Gary. Du hattest solche Angst.
    Ich schlug die Augen auf. Im Gegensatz zu dem Abend, an dem ich ihn getroffen hatte, war er jetzt sauber und rasiert. So konnte man das Grübchen im Kinn und das runde, fast noch kindliche Gesicht sehen. Das Blau der Lippen und die graue Haut waren die einzigen Anzeichen dafür, dass er eines Todes gestorben war, der jedem Asthmatiker Albträume verursachte.
    Wie traurig. Er sah aus, als wäre er gern zu den Men in Black gegangen, sogar die Ray-Ban-Sonnenbrille hatte er; sie war hoch auf den Kopf geschoben. Seine Augen waren halb offen, der rechte Arm lag ausgebreitet auf dem schwarzen Stein, der linke baumelte seitlich herunter. Nur die Finger schienen von der Leichenstarre erfasst, was ins Bild passte. Die Starre trat in der Regel zwei bis sechs Stunden nach dem Tod ein.
    Etwas war zwischen den Fingern seiner rechten Hand zu sehen, und ich ging näher heran. Es handelte sich um eine Art Medaille an einer schwarzen Kette. Auf der Vorderseite waren Runen und der Kopf irgendeines Tieres mit aufgerissenem Maul zu sehen.
    »Wissen Sie etwas über die Medaille, Hank?«
    Er schüttelte den Kopf.
    Der Wind ließ kurz nach, und ich atmete den Gestank des Todes ein. So unverkennbar. So unbeschreiblich.
    Hinter mir hörte ich Steine rollen. Chip und sein Assistent Mo Testa rutschten den Pfad herunter und landeten unsanft auf dem Grund des Steinbruchs. Chip ging auf Hank und den Sergeant zu, während sein Assistent mit dem Leichensack zu mir herüberkam.
    »Ma’am«, sagte Testa, während er den Sack auf dem Boden ausbreitete.
    »Ich hoffe, Sie hatten da neulich keinen Ärger wegen mir.«
    »Aber nein. Mr Vander… Heilige Scheiße.« Er bekreuzigte sich.
    »Was ist denn?«, fragte ich.
    »Die Medaille da, das ist was ganz Übles.« Er breitete den Sack fertig aus und zog sich dann zurück. »Echt übel.«
    »Erklären Sie das genauer, bitte.«
    »Nein, Ma’am. Auf keinen Fall.« Testa ging zu Chip zurück und ich zu Gary. Voodoo vielleicht. Santería. Satanismus. Schwer zu sagen.
    Er sah jünger aus, als ich ihn in Erinnerung hatte. Zu jung. Und verängstigt. So verängstigt. Ich konnte die Angst in der Luft spüren, als müsse Gary Pinkhams Entsetzen sich erst noch verflüchtigen.
    Es war so leicht, sich Gary in seinem Overall vorzustellen, wie er Fruchteis aß und schief grinste. Aber er war unberechenbar geworden, als er mich geschnitten hatte. Auch das

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