Leichenspiele: Ein Max-Broll-Krimi (German Edition)
jetzt gehen.
– Ach, bleib doch noch.
– Ich kann nicht.
– Wenn du mir hilfst, dann helfe ich dir auch.
– Wie meinst du das?
– Ich ruf dich an, wenn es etwas Neues gibt.
– Warum solltest du das tun?
– Weil du wundervoll küsst.
– Meine Freundin ist gestorben.
– Ich weiß. Aber der Kuss war trotzdem schön.
– Stimmt.
– Dann bleibst du also noch ein bisschen?
– Kurz noch.
Er blieb die ganze Nacht. Er half ihr, die beiden Supermarktleichen in Plastiksäcke zu stecken und einzukühlen, und er half ihr auch, den Dicken anzuziehen. Nebenbei unterhielten sie sich, lachten, Max fühlte sich einfach wohl. Dass er umgeben war von Leichen, war plötzlich nicht mehr wichtig. Da war Lefteras Stimme. Ihre Blicke. Die Erinnerung an diesen Kuss. Max blieb. Bis es hell wurde, saß er mit ihr in ihrem Büro und trank Kaffee. Bis vor fünf Minuten war er bei ihr. Dann verabschiedete er sich mit einem Kuss auf die Wange von ihr.
Ich ruf dich an, sagte sie.
Danke, sagte er, stieg in seinen Wagen, fuhr los und wählte Baronis Nummer.
Wo bist du, um Himmels willen, sagte Max.
Es tut mir so leid, sagte Baroni.
Neun
Drei Stunden über die Autobahn.
Vormittag in Bayern, das Stück Karton mit dem Poststempel am Beifahrersitz. Max ist hellwach, obwohl er nicht geschlafen hat, keine Minute lang. Ein Liter Kaffee war schuld daran, und Leftera.
Früher hätte er den Ouzo getrunken, den sie ihm angeboten hatte, die ganze Flasche hätte er mit ihr gemeinsam geleert, er hätte sich gehen lassen, wahrscheinlich hätte er mit ihr geschlafen. So blieb es bei diesem Kuss, an den er jetzt immer noch denkt. Wie lustvoll sie war, wie sie ihn einfach umgerannt hat, ihn glücklich gemacht für kurze Zeit. Und wie er dann das Hemd zugeknöpft hat, wie er dem fremden toten Mann die Hose angezogen hat. Weil er bei ihr sein wollte, nicht weggehen wollte von ihr. Wie er eine Tasse Kaffee nach der anderen trank, weil er noch bleiben wollte, sie anschauen wollte, Leftera.
Max parkt in einer bayerischen Kleinstadt nahe der österreichischen Grenze. Hier wird er Baroni treffen, in wenigen Minuten wird er da sein, in wenigen Minuten werden sie in das Postamt gehen und fragen. Es ist die einzige Möglichkeit herauszufinden, wer das alles mit ihnen macht, wer sie in diese Situation gebracht hat.
Es war Baronis Idee. Nachdem er sich fünf Mal für sein Verschwinden entschuldigt und Max ihm alles von seiner Nacht erzählt hatte, kam er auf das Naheliegende. Die Pakete waren ja irgendwo aufgegeben worden, in dem Postamt würde sich vielleicht jemand an die Person erinnern, die die Pakete zum Schalter geschleppt hatte, irgendein Postbeamter würde ihnen weiterhelfen können. Man würde sich erinnern, solche großen Sendungen waren kaum alltäglich.
Ein deutsches Postamt. Irgendwer hatte die Leichen von dort aus verschickt. Warum gerade an sie? Max wartet. Seine Augen suchen den kleinen Stadtplatz ab, sie freuen sich, Baroni wiederzusehen. Max will mit ihm reden, über die Leichen, über die fehlenden Organe, über Leftera. Max wartet. Eine Minute lang, dann steigt Baroni aus dem Bus.
Baronis Gesicht spricht tausend Bände. Es sagt, dass es nichts Widerlicheres für ihn gibt als mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Nichts auf der Welt. Nach wie vor fällt es Baroni schwer, sich in den menschlichen Niederungen zu bewegen, der Verlust von allem ist schwer für ihn zu verkraften. Dass alles weg ist, seine Autos, alles, was sein Leben komfortabel gemacht hat, schmerzt ihn nach wie vor. Mit dem Bus in dieses bayerische Kaff zu kommen war ein Zugeständnis an Max, eine Entschuldigung dafür, dass er sich aus dem Staub gemacht hatte. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Wien nach Niederbayern, Baroni hasste sein neues Leben.
– Nie wieder busfahren, Max.
– Um solche grundsätzlichen Entscheidungen treffen zu können, musst du aber noch ein paar Würste verkaufen, mein Lieber.
– Sehr witzig, Max.
– Schön, dass du da bist, mein Freund.
– Wir reißen den Schweinen jetzt den Arsch auf.
– Dafür müssen wir sie erst mal finden.
– Das werden wir, Max.
Entschlossen betreten sie das Postamt. Auch hier scheint jeder zu wissen, wer Baroni ist, und welche Schicksalsschläge ihn getroffen haben. Einige Kunden starren ihn an, sie flüstern hinter vorgehaltener Hand, sie grinsen. Der Postmann am freien Schalter erklärt, ein bekennender Baroni-Fan zu sein. Die Tatsache, dass er vom hohen Ross gefallen ist, scheint ihn
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