Leichenspiele: Ein Max-Broll-Krimi (German Edition)
nicht zu stören, Baronis Absturz ist kein Thema. Es geht um Fußball, um Ehrerbietung. Der Beamte bittet um ein Autogramm, er versichert ihm, dass nichts ihn von seiner Begeisterung abbringen kann.
Kurz schwebt Baroni wieder im Himmel, kurz sind die goldenen Zeiten wieder da, keine Würste, keine Leichen, die er vergraben muss. Kurz nur. Bis Max ihm auf den Fuß tritt und ihn drängt, endlich nach den Paketen zu fragen, endlich wieder im Dreck zu wühlen.
Schweren Herzens tut Baroni, was Max von ihm will. Er beschreibt die Pakete, die Größe, die Farbe, das Gewicht, er zeigt dem Beamten das Stück Karton mit dem Poststempel. Aber nichts. Er war nicht im Dienst an diesem Tag. Auf Baronis Drängen hin fragt er seine Kollegen, ob jemand sich an den Absender erinnern könne, ob es mehrere waren, ob jemandem irgendetwas dazu einfiele. Der Mann setzt sich ein für Baroni, er will ihm einen Gefallen tun, aber nichts. Nur Kopfschütteln und eine Beamtin, die sich zwar an die Pakete erinnern kann, nicht aber an denjenigen, der sie aufgegeben hat. Nichts über den Verrückten, der Leichen mit der Post verschickt, kein Wort, keine Beschreibung, es war niemand, den man kennt, niemand, an den man sich erinnert.
Max flucht leise. So viel Baroni auch fragt und bittet, es ändert nichts. Das Kurzzeitgedächtnis der Postbeamten scheint in katastrophalem Zustand zu sein. Trotzdem bedankt sich Baroni und unterschreibt noch einige Male, bevor sie wieder hinaus auf den Stadtplatz gehen.
Wie sehr sie gehofft haben, dass jemand sich erinnert, dass jemand ihnen sagt, wo sie suchen müssen. Wie enttäuscht sie sind. Wie sie die Post verlassen und die Läden am Platz abklappern. Irgendjemand muss etwas gesehen haben, zwei Pakete in dieser Größe trägt man nicht einfach unterm Arm zur Post. Er muss einen Rollwagen gehabt haben, er muss zweimal gegangen sein, das erste Paket hineingebracht haben, dann das zweite geholt haben. Oder sie waren zu zweit. Es muss Antworten geben, es muss sie hier geben. Hier wurden die Leichen aufgegeben. Doch nichts. Nur verwunderte Blicke, keine Antworten. Niemand weiß etwas, keiner kann helfen. Niedergeschlagen lassen sie sich in einem Gastgarten nieder.
– Jetzt trinken wir erst einmal ein schönes Weißbier, dann fällt uns bestimmt was ein.
– Kein Bier, Baroni, du erinnerst dich.
– Nur eines, zur Wurst, die Weiße ohne Bier, das geht nun wirklich nicht, oder?
– Doch, Baroni, das geht. Bis die Sache hier zu Ende ist, gibt es keinen Schluck mehr.
– Du warst auch schon mal lustiger.
– Und du hattest früher zwei Autos.
– Was soll das jetzt?
– Ich will jetzt nicht saufen, sondern die Geisteskranken finden, die uns hier verarschen.
– Und ich will, dass du aufhörst, mit bloßen Fingern in meinen Wunden zu stochern.
– Ist ja schon gut, tut mir leid.
– Ich muss mal. Bestell mir einen Apfelsaft, und die Zeche geht auf meine Rechnung.
Gekränkt steht Baroni auf und wirft seine Geldtasche auf den Tisch. Zum einen, weil er ein Mensch ist, der sich nicht gerne von anderen sagen lässt, was er tun und lassen soll, und zum anderen, weil er es die letzten zwanzig Jahre gewohnt war, mit Geld um sich zu werfen.
Hab dich nicht so, sagt Max.
Du kannst mich mal, sagt Baroni und geht.
Max bestellt. Und weil es nicht schaden kann und der Kellner freundlich aussieht, fragt er auch ihn, ob er vor drei Tagen jemanden mit zwei großen Paketen gesehen hat, jemanden, der die Kartons aus einem Auto gehoben und zur Post getragen hat.
Der Kellner denkt nach, man sieht, wie er in seinem Kopf nach Bildern sucht, aber auch er hat niemanden gesehen. Keinen Verrückten mit Kartons voller Leichen. Wie alle anderen schüttelt er den Kopf. Er wiederholt noch einmal die Bestellung und will gehen, doch dann stoppt er. Seine Augen haben Baronis Geldtasche gestreift. So als hätte er etwas Fantastisches entdeckt, etwas Wertvolles, so als hätte er die Lösung auf alle Fragen dieser Welt, beginnt er zu strahlen.
Vielleicht kann ich euch doch weiterhelfen, sagt er.
Als Baroni vier Minuten später wieder von der Toilette kommt, ist der Kellner schon wieder verschwunden.
– Du hast recht, Max.
– Womit?
– Dass wir nüchtern bleiben sollten.
– Ja.
– Du hast mein Geld nicht angerührt, oder? Bin etwas knapp im Moment.
– Nein, du bist natürlich eingeladen, mein Freund.
– Wie du weißt, bin ich weit entfernt von fünfhundert Euro Tagesumsatz.
– Das ist jetzt nicht wichtig, Baroni, ich muss
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