Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)
benötige dergleichen nicht.“ „Aber ich nehme einen Becher.“, rief von Steinborn. „Mir ist durchaus kalt. Der Regen geht durch und durch!“ Er schob sich einen Schemel ans Feuer und setzte sich. Hassan füllte einen Becher mit dem Kräuteraufguss, den er als Tee bezeichnet hatte und schob ihn von Steinborn hin. „Ihr stapelt tief, Meister I-Sabbah“, sagte er nach einem Schluck. „Hagebutte? Sehr angenehm im Geschmack. Noch etwas Zucker und das Getränk wäre nicht zu übertreffen.“
„Hagebutten, in der Tat. Sie wachsen hier rundherum. Wildrosen.“, antwortete der Alte vom Berge. Er schlug seinen Kaftan über den Beinen zusammen. „Ich werde hier am Ufer auf Euch warten“, sagte von Steinborn. „Wenn Ihr Vlad … den Drachen getötet habt, erwarte ich Euch hier am Strand zurück.“ Rebekka legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Das werden wir, Victor. Ich finde Euch, das wisst Ihr!“
„Ich weiß!“, flüsterte von Steinborn. „Ich weiß!“
Am Nachmittag hatte der Sturm sich eher noch verstärkt, als dass er schwächer geworden wäre. Sie kämpften sich gegen den Wind zum Hafen und beendeten den Kauf des Bootes. Es lag gut vertäut im Hafen, geschützt vor dem Sturm. Von Steinborn zahlte dem Mann den vereinbarten Preis und begab sich an Bord. Er würde hierbleiben und auf die anderen warten. Sobald es Nacht geworden war, würden Hassan, Nazir und Rebekka Vlads Sarg zum Boot bringen. Nazir und von Steinborn würden bis zum Ablegen an Bord bleiben. Rebekka verabschiedete sich von dem Freiherrn und ging zurück zu ihrer Unterkunft. Der Wind heulte in ihren Ohren. Rebekka stutzte. War da nicht ein Geruch gewesen, den sie kannte? Ein Gestank … wie von Vlads Vampiren? Sie sog erneut Luft durch die Nase, aber da war nur der durchdringende Geruch von Salz und Meer. Sie sah sich um, aber bei dem dichten Regen, der fiel, konnte sie kaum die andere Seite der Gasse erkennen. Sie musste sich geirrt haben …
75. Kapitel
Die Dunkelheit war erfüllt von Schmerz. Schwarzes Blut gerann in seinen Adern und verflüssigte sich wieder. Er war tot, er war untot, dann wieder tot … weiter und immer weiter, wieder und immer wieder! Ein kurzer Moment nur, gerade lang genug, um die Augen aufzuschlagen, schon wurde es wieder Nacht um ihn. Er konnte nicht abschätzen, wie lange er ohne Bewusstsein war, aber der kurze Augenblick, dieses Blinzeln von Bewusstheit, das regelmäßig aufschien, währte immer nur einen einzigen Gedanken lang, dann erlosch das Licht wieder. Anfangs dachte er den gleichen Gedanken, immer wieder, wenn er erwachte. Nach vielen, vielen Wiederholungen des Gedankens schaffte er es, den Gedanken beim nächsten Aufwachen weiterzudenken. Langsam bildete sich eine Gedankenkette, entstand ein Plan, zerstückelt, auseinandergezogen und gedehnt ...
Er rief seine Armee. Er konnte sie spüren, fühlte sie, weit, weit entfernt. Wie viele? Einer wäre genug! Er rief nach ihnen und sie kamen. Sie kamen aus ihren Verstecken und Unterschlüpfen und folgten dem Ruf ihres Meisters. Wach – tot – wach – tot. Er rief nach ihnen, trieb sie an, peitschte sie vorwärts. Beeilt Euch, meine Kinder, meine Soldaten! Die Zeit wird knapp! Kommt zu mir!
Erwachen – Sterben – Erwachen. Und wieder tot. Er analysierte. Er war gepfählt worden. Ein stechender Schmerz beim Erwachen, wenn das Herz den ersten Schlag versuchte und sofort durchbohrt wieder stehen blieb. Er konnte spüren, wie der Muskel an das Holz stieß, wie sein Herz zusammenzuckte und stehen blieb. Ein Pflock. Ein Pfahl. Er hatte nur diesen einen, kurzen Augenblick zwischen Bewusstsein und Bewusstlosigkeit. Er versuchte, sich zu bewegen, aber die Zeit war zu kurz. Er war wieder tot, bevor der Befehl sein Hirn verlassen konnte. Er musste warten. Sie waren unterwegs! Nichts würde sie aufhalten können. Sie rannten die ganze Nacht hindurch, versteckten sich vor der Sonne und rannten weiter, wenn der Mond am Himmel stand. Sie zogen eine blutige Spur der Vernichtung durch die Walachei. Sie hatten Hunger. Sie mussten trinken. Sie nahmen sich ihre Nahrung unterwegs, wo sie sie fanden. Die Vampire kamen zu ihrem Herrn!
Vlad der Dritte, Draculea, Vlad Tepes, der Pfähler lag in seinem Sarg aus einfachem Kiefernholz und starb und erwachte wieder und starb erneut. Solange der Pfahl in seinem Herzen stak, so lange war er hilflos, gebannt. Er wartete. Und mit jedem halben Herzschlag und jedem Funken Bewusstheit, die er durchlebte, wuchs sein Hass. Der Hass
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