Leichentücher: Psychothriller (German Edition)
Autio stehen, spähte durch das rautenförmige Fenster hinein und klopfte.
Durch das Fenster war das Bett zu sehen, auf dem ein magerer nackter Mann lag. Sein Mund stand offen. Die Augen waren groß, wie gelbliche Eier. Eine Schneeeule.
Autio verkniff sich einen Fluch und öffnete die Tür. Sie betraten das Zimmer, in dem der übliche hartnäckige Geruch nach Schweiß und Urin hing. Mikael hatte sich so gründlich an das Aroma gewöhnt, dass er es sogar im Schlaf roch, wenn er von der Arbeit träumte.
»Hallo, Finne«, sagte Autio und stopfte den an einem Spiralband hängenden Schlüsselbund in die Tasche, »Sie sollten sich wieder anziehen. Es sind Gäste im Haus.«
Durch das hohe Fenster fiel das Sonnenlicht als ein auseineinanderlaufendes Parallelogramm ins Zimmer, beleuchtete Gesicht und runzligen Körper des Mannes zur Hälfte, sodass er an eine beschädigte Schaufensterpuppe erinnerte. Er wirkte irgendwie abstoßend. Mikael konnte sich zuerst nicht erklären, woher dieser Eindruck kam, begriff dann aber, dass die Medikamente auf Finnes Haut keine andere Spur hinterlassen hatten, als dass sie vollkommen unbehaart war, und voller sich kreuzender Falten, die im Lauf der Jahre immer tiefer gewordenwaren. Hier und da, am Kinn und am Brustkorb, waren kleine Wunden zu sehen. Finnes Penis lag grau und faltig zwischen den Beinen, wie ein exotischer Pilz.
»Hören Sie?«, fragte Autio. Er klang wie ein netter Sonderschullehrer, einer, von dem man keine Wutausbrüche befürchten musste. »Besuch!«
Der Mann blinzelte, hielt den Blick aber starr an die Zimmerdecke geheftet. Dann hob sich ein Arm zum Gruß.
»Hallo«, antwortete Mikael auf die Geste. »Können wir uns ein bisschen unterhalten?«
Die Hand verharrte in der Luft, machte eine kleine schwankende Bewegung und sank auf das Laken. Der Mann schmatzte mit den Lippen, stützte sich dann auf die Ellbogen. Die Muskeln unter der blassen Haut spannten sich, die mageren Schenkel hoben sich und glitten vom Bett. Es war eine schnelle, routinierte Bewegung; wäre sie langsamer gewesen, hätte sie wohl nicht zu Ende geführt werden können.
Olavi Finne sah zuerst Autio, dann Mikael an.
»Tag«, grüßte Mikael erneut.
Der Mann räusperte sich und schien auf etwas zu horchen. Die Sehnen an seinem Hals zuckten.
»Guten Tag«, sagte er heiser und hüstelte träge.
Der Kopf, der auf dem dünnen Hals saß, war vollkommen kahl, Nase und Mund wirkten schwer, gummiartig. Der Blick war aufmerksam. Nicht verschreckt nach innen gerichtet wie bei den meisten Chronikern.
»Das ist Ihr neuer Pfleger«, sagte Autio und trat einen Schritt zurück. »Mikael Siinto, ein alter Hase von Station D.«
Finne nickte erneut.
»Er würde sich gern ein bisschen unterhalten, wenn es recht ist.«
»Das passt mir eigentlich nicht.«
»Störe ich beim Mittagsschlaf?«, fragte Mikael, als hätte er die Antwort nicht gehört, holte einen Stuhl aus der Ecke undsetzte sich. Es war das Beste, die Spielregeln von vornherein klarzustellen. Er bestimmte, wann geredet wurde.
»Nein. Ich schlafe tagsüber nicht. Ich liege nur.«
»Richtig, so ist es«, sagte Autio. »Wo sind die Kleider? Es gehört sich, angezogen zu sein, auch unter Männern. Was, wenn Lisa oder Alli vorbeikämen und durch das Fenster schauten?«
»Das tun sie öfter. Um mich zu bewundern.«
Autio lachte auf. Finne verzog keine Miene.
»Bewundern, soso«, sagte Autio und ging zum Kleiderschrank. »Warum auch nicht. Ein Adonis, wie Sie sind. Trotzdem, hier sind die Klamotten.«
Olavi Finne nahm die Kleider, legte das schmutzig weiße Unterhemd aufs Bett, stand auf und zog die ausgebeulte Klinikhose an.
»Na dann, ich warte im Stationszimmer«, sagte Autio und ging zur Tür.
Mikael nickte.
»Wie alt sind Sie?«, fragte er, als er mit Finne allein war.
Autios Pfeifen war noch zu hören, entfernte sich auf dem Flur.
»Das geht dich nichts an«, antwortete Finne und zog das Gummiband an der Hose enger.
»Männer darf man doch nach ihrem Alter fragen, ist es nicht so?«
Finne gab keine Antwort. Er zog an den Ärmeln seines Hemdes. Über dem Brustkorb und am Hosenstall war die Kleidung mit kleinen braunen Punkten übersät.
»Sie sind schon ziemlich lange hier, nicht wahr?«, versuchte Mikael es noch einmal.
Finne trat ans Fenster und kratzte sich durch das Hemd hindurch unter der Achsel.
»Schon eine ganze Weile, aber nicht mehr lange.«
»Tatsächlich? Haben Sie vor, gesund zu werden?«
Es war schwer, die Frage so zu
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