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Leichentücher: Psychothriller (German Edition)

Leichentücher: Psychothriller (German Edition)

Titel: Leichentücher: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marko Hautala
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eigentlich die roten Beeren mit dem grünen Hütchen?«
    Der Mann blickte nicht einmal von den Totoergebnissen im Bildschirmtext auf.
    »Erdbeeren«, antwortete er und schüttelte die widerspenstige Fernbedienung.
    »Richtig, vielen Dank«, sagte Alli und setzte ihre Wanderung von einem Flügel der Abteilung in den anderen fort. Der Pfleger widmete sich wieder den Tippresultaten. Beide waren zufrieden.
    Die Pfleger teilten die Medikamente aus, schlossen bei Bedarf den Wäscheschrank oder die Küchentür auf, nahmen Telefonate an und führten regelmäßig Routinegespräche mit dem ihnen zugeteilten Patienten.
    Allmählich wagte Mikael zu glauben, dass es hier tatsächlich so friedlich zuging. Auf Station D hatte er die meisten Patienten gefürchtet und gehasst. Hier konnte man im Fernsehraum die Füße auf den Tisch legen und die Fragen der Patienten einsilbig beantworten. Sich in aller Ruhe seiner Depression hingeben.
    Laukkanen war der einzige Patient, der spezielle Beachtung forderte. Er schlängelte sich durch das Fernsehzimmer im Männerflügel und durch den gemeinsamen Aufenthaltsraum wie eine Eidechse, die sich unter Schildkröten verirrt hat. Erklärte, wie er einmal mit zweitausend feuerspeienden Robotern als Requisite aufgetreten sei. Der Club sei überfüllt gewesen. Ozzy Osborne habe extra aus Kalifornien angerufen und bedauert, dass er nicht dabei sein könne.
    Laukkanen war vor allem deshalb irritierend, weil er ständig Blickkontakt suchte. Wenn er den nicht bekam, tippte er einem auf die Schulter. Regelmäßig zuckte Mikael dann zusammen, und gelegentlich wurde er auch wütend, was er allerdings nicht zeigte.
    Am erträglichsten war Laukkanen, wenn er die Kopfhörerseines MP 3-Players aufsetzte und leise singend auf der Station herumwanderte. Im Anschluss an diese Sessions lief er mit langen Schritten durch die Gänge und wiederholte die Songtexte blökend wie eine Kuh, die im Frühjahr zum ersten Mal auf die Weide getrieben wird.
    Aus irgendeinem Grund handelte es sich bei Laukkanens Gesangsproben meist um Schlagertexte. Mikael wunderte sich darüber, bis Laukkanen ihm verriet, dass man ihm nicht erlaubte, hartes Zeug zu hören. Sein Pfleger meinte, das würde ihn zu sehr aufstacheln. Diese Regelung hatte Laukkanen zu einer wandelnden Eckkneipen-Jukebox gemacht. Durch die Straßen fegt der Wind, nass glänzt der Asphalt … Wenn Tom singt … Mitunter machte Laukkanen Zeitreisen durch mehrere Jahrzehnte. Er schaffte es manchmal sogar, Mikael in seine Kindheit zurückzuversetzen. Jahrelang hab ich geschwoft … Hier ist es wunder-wunderschön …
    Die zweite jüngere Patientin auf der Station war Stina Sund, 29 Jahre, ein Borderline-Fall. Sie hielt sich meist in ihrem Zimmer auf, aber nachmittags kam sie in den Aufenthaltsraum, um sich zu produzieren. Stinas Auftritt war eines der bescheidenen täglichen Spektakel. Sie verbrachte den ganzen Vormittag mit ihren Schminkutensilien, bis sie ihrer Meinung nach hinreißend aussah. Mit ihrer übertriebenen Bemalung glich sie der bösen Stiefmutter in einem Märchenfilm, doch sie selbst glaubte, sich in eine Prinzessin verwandelt zu haben. Sie segelte in den Aufenthaltsraum, schritt langsam vor den Pflegern auf und ab und setzte sich so hin, dass diejenigen, die das Fernsehprogramm verfolgten, zwangsläufig zu ihr hinsahen. Wenn ein Blickkontakt entstand, kicherte sie in nervtötender Weise.
    »Die müsste mal einer flachlegen«, flüsterte Helminen während eines dieser Auftritte Mikael zu und las weiter in seiner Zeitung.
    Mikael musterte Stinas in grellen Farben geschminktes Gesichtund ihre laszive Haltung. Die Schminke und die Krankheit machten ihr Gesicht merkwürdig alterslos. Wie eine Adlige von einem fernen Planeten, eine Königin vielleicht.
    Erst als das Kichern einsetzte, merkte Mikael, dass er die Frau anstarrte, deren Lächeln ihre Augen nicht zu erreichen schien …
    In den ersten Tagen war Olavi Finne nicht bereit gewesen, zu sprechen, hatte nicht einmal gegrüßt, wenn Mikael ihm seinen täglichen Routinebesuch abstattete. Auch beim Rasieren hatte es keine Kommunikation gegeben. Mikael hatte im Badezimmer gesessen und dies und jenes gefragt, vergeblich. Finne hatte sich sorgfältig die Bart-, Kopf- und Schamhaare rasiert, stumm wie ein Stein.
    Während der Frühschicht am Sonntag änderte sich die Situation.
    Mikael überwachte Finne im Badezimmer des Einserflügels. Die Zeit für die Prozedur war auf zwanzig Minuten begrenzt worden, denn

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