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Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Titel: Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Shipstead
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sie als Waffen nicht Keulen und Fackeln, sondern Flensmesser trugen. Francis beäugte sie unsicher. Dann verrutschten seine Gesichtszüge, als hinge plötzlich ein Gewicht daran, und seine Miene wurde lang und kummervoll.
    »Vielleicht haben Sie recht. Vielleicht war ich es«, sagte er und sah Samuels Frau durch seine gesenkten Augenlider an. »Es tut mir so leid – ich hatte keine Ahnung. Ich hätte umsichtiger sein müssen. Ich habe ohne nachzudenken gehandelt, und jetzt ist dieser arme Mensch schwer verletzt. Ich fühle mich entsetzlich. Ich weiß nicht, wie ich damit leben soll. Ich wollte mich nur zugehörig fühlen, wissen Sie, wie einer von der Insel. Ich wollte mitmachen. Und schauen Sie, was jetzt dabei herausgekommen ist. Alles, was ich anfasse, mache ich kaputt. Ich bin verflucht.«
    Er wischte an dem Sand herum, der auf seinen Wangen klebte und schniefte. Dann ließ er sich in den Sand fallen, umschlang seine Beine und legte den Kopf auf die Knie.
    »Francis?«, sagte Livia.
    Er verschränkte die Hände über dem Kopf und drückte sie zusammen. Seine Stimme klang gedämpft. »Ich verdiene es, ins Gefängnis zu kommen. Ich verdiene eine gerechte Strafe.«
    Livia sah Samuels Frau an, sie schien sein Schicksal in Händen zu halten. Die Frau kniff die Augen zusammen undschaute auf das Meer hinaus wie ein Kapitän, der über einen Kurswechsel nachdenkt. Schließlich sagte sie schroff: »Steh auf, Junge. Nur ein Verrückter hätte das mit Absicht gemacht. Du bist nicht geisteskrank, bloß ein bisschen dumm.«
    Mit dem Erstaunen eines Verdammten, der in letzter Minute begnadigt wird, hob Francis das Haupt und sah sie an. Livia stieß ihn mit der Fußspitze an, damit er aufstand. Er tat es und reichte der Frau die Hand. »Vielen Dank«, sagte er. »So viel Großzügigkeit habe ich weder erwartet noch verdient.«
    »Mmm«, meinte Samuels Frau. »Und jetzt sieh zu, dass du hier wegkommst.« Das hatten sie sich nicht zweimal sagen lassen, wie zwei Ausgestoßene waren sie über den Strand davongetrabt.
    »Trotzdem. Du hast Glück gehabt«, sagte Livia, als sie sich landeinwärts wandten und den Krankenwagen nicht mehr sehen konnten. »Sie hätten dich beinahe gelyncht.«
    Er zuckte die Achseln. »Man braucht bloß mitgenommener und reuiger zu sein, als von einem erwartet wird. Dann fühlen sich die anderen schlecht und wollen einem was Gutes tun.«
    »Würde Buddha das auch so machen?«
    »Ich habe nie behauptet, Buddha zu sein«, sagte Francis. »Man kann ihm bestenfalls nacheifern. Was zählt, ist, wie sehr man sich bemüht. Ich hingegen scheitere nur dauernd.«
    Sie überquerten einen schmalen Sandweg und kamen an eine Schotterpiste, die zwischen einigen Strandhäuschen hindurch an die Straße führte, an der Dicky senior sie abholen wollte.
    »Mir will einfach nicht einleuchten«, sagte Livia nach langem Schweigen, während sie am Straßenrand nach DickysMietwagen Ausschau hielten, »warum du dir ausgerechnet diese Religion ausgesucht hast, die es allen so leicht macht, dich zu entlarven. Es muss dir doch klar sein, dass jeder sich wundert, warum du kein Vegetarier bist und nicht meditierst. Du müsstest gegen deine Gelüste angehen, aber scheinst dich eigentlich liebend gern allen möglichen Gelüsten hinzugeben. Warum tust du dir das an? Warum sagst du nicht einfach, du wärst Nihilist, und damit gut?«
    Der unablässige Wind hatte sie beide mit einer feinen Schicht Pudersand bedeckt. Francis glitzerte in der Sonne, als wäre er gezuckert. »Ich liebe den Kampf«, sagte er, »auch wenn ich nie Fortschritte mache. So hab ich wenigstens etwas, nach dem ich streben kann. Es gibt etwas, dessen Gegenteil ich bin. Sonst würde ich einfach in meiner Umgebung verschwinden, und niemand würde je etwas über mich zu sagen haben.«
    Während der Heimfahrt im Auto bestand Winn darauf, alle Fenster zu öffnen, weil er hoffte, die frische Luft würde seine Kopfschmerzen und die Übelkeit vertreiben, die sich eingestellt hatten, nachdem Dr. Finlay ihn mit scheußlichem Riechsalz wiederbelebt und seine betäubte Wunde genäht hatte. Biddys Haare, die sie schulterlang trug, in einem praktischen eckigen Schnitt, wehten nach hinten und flogen ihr um die Ohren, um sich dann aufzustellen wie ein Hahnenkamm, der unter Strom steht. Die Morgenbrise war aufgefrischt, und Wolken sausten unter vollen Segeln voran. Sie waren mehr geworden, verdeckten häufiger die Sonne und bildeten dann und wann Löcher, durch die strahlendes Licht

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