Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)
auszuschlagen, wenn man nicht verhindert ist.«
Bill Midland schnaubte. Der Samtvorhang wurde aufgerissen, und der Kellner erschien mit einem Silbertablett voll Kuchen und Törtchen. »Etwas Süßes zum Dessert?«, fragte er.
Der Arzt, ein Mann von Mitte vierzig, trat schwungvoll zur Tür herein. Er war hochgewachsen und schlank und glitt schnell und glatt dahin wie ein Wasserläufer. Sein schütteres blondes Haar war ohne Eitelkeit von der im raschen Rückzug befindlichen Haarfront gerade nach hinten gekämmt. Zwischen zwei tiefen Geheimratsecken stand nur noch eine schmale Halbinsel aus Flaum. »Ah, Mister Vanmeter«, sagte er, in einem Wort und mit Betonung auf der ersten Silbe. »Sie sind mit dem Rad gestürzt.« Er entbot ein rasches Lächeln, nur aus einer flüchtigen Mundbewegung bestehend.Über den Zinnen der Stifte in der Brusttasche seines Kittels war mit Blau Dr. Finlay eingestickt.
»Van Meter «, sagte Winn. »Ich bin nicht gestürzt. Ich bin von einem Golfwagen angefahren worden.«
»Das tut mir leid«, sagte der Arzt, glitt mit zwei Schritten auf Winn zu und steckte sich die Oliven seines Stethoskops in die großen Ohren.
»Sie brauchen mich nicht erst abzuhorchen«, sagte Winn und verdrehte sich abwehrend. Das Papier auf der Untersuchungsliege klebte an seinen Schenkeln und raschelte laut. »Sie können die Wunde einfach gleich vernähen.«
»Hmmmm. Reine Routine. Einatmen, bitte.«
Winn füllte und leerte die Lungen, verfolgte mit den Augen ein helles Licht, nahm ein Thermometer in den Mund, gestattete die Ausleuchtung und Betrachtung der feuchten, borstigen Gänge von Nase und Ohren und sah teilnahmslos zu, wie seine Tennisschuhe schwach zuckten, als das Gummihämmerchen zuschlug.
Schließlich pellte der Arzt Otis’ buntes Taschentuch von Winns Scheinbein und berührte sanft die Ränder der sichelförmigen Wunde. »Mmmhmm. Ja, ja«, sagte er leise. Dann verschwand er ohne ein weiteres Wort zur Tür hinaus, um zwanzig Sekunden darauf mit einem Stahltablett auf einem Rollwagen wiederzukommen. Die scharfen silbernen Instrumente blitzten boshaft im Licht. Der Doktor machte sich am Waschbecken zu schaffen. Er wusch sich die Hände, öffnete Schubladen und schob sie wieder zu, holte Packungen mit Verbandsmull hervor, wackelte mit den langen Fingern, während er sich die aus einer Schachtel gepflückten Operationshandschuhe überzog. So flink und geschickt verlief die Abfolge, dass er drei oder vier Arme zu haben schien. Winnfragte sich, ob er vielleicht, während er die Wunde vernähte, gleichzeitig Mandarinen jonglieren oder einen Teller auf einem Stab balancieren würde.
»Viel zu tun diesen Sommer?«, fragte Winn, um sich von den ersten Anzeichen der Übelkeit abzulenken, als der Arzt eine Injektionsnadel durch den Gummisiegel im Deckel einer kleinen Glasampulle stach und den Kolben hochzog.
»Hmm? Oh, ja. Ja, ja.« Dr. Finlay stieß sich auf einem Rollhocker am Fußboden ab und fuhr zu Winns Bein, neben dem er sachte zum Stehen kam. »Das könnte brennen.« Er wischte flink mit einem Stück Mull über die Haut und hinterließ eine flammende Spur. »Und jetzt aufgepasst; es wird ein bisschen pieksen.« Der Arzt führte die Nadel an den Rand der Wunde, durchstach die Haut. Winn sah zu, wie er kaum merklich den Kolben senkte. An der Einstichstelle erschien ein Blutstropfen, und der Arzt wischte ihn fort. »Noch einmal«, sagte er. Seine Stimme kam von weit weg, während er die Nadel an eine neue Stelle bewegte. »Und noch einmal.«
Auf Winns Stirn brach kalter, saurer Schweiß aus, doch wurde ihm zugleich schrecklich heiß. Er fragte sich, ob er sich an diesem gottverdammten Vormittag auch noch einen Sonnenstich geholt hatte.
»Eine noch«, sagte der Arzt aus großer Entfernung. Winn sah hin. Als die Nadel in seine Haut stach, löste sie sich in weiße Funken und Flämmchen auf. »Uups, zu früh versprochen. Noch ein letztes Mal«, kam die Stimme des Arztes durch eine schimmernde Finsternis, und Winn fiel seitwärts aus der Welt.
13 · Ein Zentaur
L ivia ging ein paar Schritte vor Francis über Dünen und durch schneidendes Gras, ihre Haut verklebt, am ganzen Körper stinkend. Den Gestank bildete ein überwältigender Cocktail aus Salzwasser, Küchenschwamm und Tod. Sie waren auf der Suche nach einem Weg vom Strand zu einer Straße, an der Dicky senior sie abholen sollte. Livias Telefon war kaputtgegangen, als sie nach der Explosion ins Meer gerannt war, doch das von Francis hatte alles
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