Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)
eine alte Dame ihren Cadillac aus einer Parklücke auf der Kiesfläche vor der Markthalle bugsierte.
Die Halle sah aus wie ein großes mit grauen Schindeln verkleidetesHolzhaus im Stil einer alten Schule und thronte vor einer Reihe Treibhäuser. Livia stieg als Erste aus und ging vor ihrem Vater hinein. Drinnen war es luftig und kühl und roch nach Erde, Tomaten, Fleisch und Zellophan. Ihr Vater holte sie ein, vor den Augen eine Liste, die er auf eine Serviette geschrieben hatte. »Mais, Tomaten, Salat, Perlzwiebeln habe ich von zu Hause mitgebracht, Gewürzgurken brauchen wir noch. Krabben holen wir im Fischgeschäft, Räucherlachs auch und irgendwas für Dicky, der keinen Hummer isst. Die Hummer werden geliefert, also Brot, Käse et cetera, et cetera. Hol du zuerst den Mais, bitte, Livia.«
»Wie viel?«
»Wir sind siebzehn zum Essen, also am besten mal zwanzig Stück.«
»Hast du einen Hexenkessel für die ganze Ladung?«
Er neigte das Kinn und sah sie wortlos an, mit einem halben Lächeln und stählernem Blick.
»Okay«, sagte sie. »Schon gut. Kein Problem.«
Sie nahm einen Wagen und war auf dem Weg zu dem Berg aus blond gelocktem Mais, als sie vor den Kühlfächern mit frischen Kräutern Jack Fenn und seine Tochter Meg erblickte. Sie waren von hinten gut zu erkennen, weil sie genauso rothaarig waren wie Teddy. Livia hatte Jack sechs Monate nicht gesehen, zuletzt vor der Trennung, aber er sah noch genauso aus: wie Teddy, nur älter. Er trug ein blaues Hemd mit offenem Kragen und war ein gutaussehender, lässig wirkender Mann, mit vollen Lippen und dichtem rotblonden Haar, das ihm ein Stück über die Ohren wuchs. Meg war hochgewachsen und schlank, eine junge Frau, und sie war makellos gekleidet wie ein Kind in Schuluniform: Hemdbluse, ein Gürtel mit einer flachen Schließe, Bermudashorts über Besenstielbeinen,Knöchelbandagen, und darunter lange Füße in grauen Sneakers, die sich an den Spitzen berührten wie küssende Forellen. Ihr Haar war zu einem französischen Zopf geflochten, so dass die Hörgeräte, die sie in beiden Ohren trug, zu sehen waren. Ihr Gesicht war eigentlich hübsch, abgesehen vom Mund, der groß und schief und seitlich geöffnet war und den Blick auf ihre Zähne und die Dunkelheit dahinter freigab. Jack fragte sie etwas – Livia konnte ihn hören –, und Megs Antwort platzte volltönig aus ihr heraus, und so holterdipolter, als spräche sie immer vier oder fünf Wörter auf einmal. Kunden blickten von ihren Salatköpfen und Paprikaschoten auf. Jack setzte seinen Korb ab und langte, ohne ihre Hand loszulassen, nach einem Beutel mit jungen Möhren.
Livia sah sich suchend nach ihrem Vater um. Er hielt sich eine Tomate vor die Nase und inspizierte sie stirnrunzelnd. Sie ließ ihren Wagen zurück und schlich, mit dem Rücken zu den Fenns, so verstohlen sie konnte in seine Richtung. Als er sie sah, sagte er laut: »Livia, kannst du mir ungemahlenen schwarzen Pfeffer suchen?« Sie packte ihn am Arm und versuchte ihn zum Ausgang zu ziehen, doch er blieb wie angenagelt stehen. »Was soll das?«, sagte er. »Ich brauche Tomaten.«
»Können wir einfach gehen? Mir ist schlecht.«
Das stimmte sogar. Vor Verzweiflung war ihr übel geworden. In seinen Augen blitzte Sorge auf, und sein Blick wanderte sofort zu ihrem Bauch, als wäre sie auf einmal Daphne und daher schwanger und das Objekt elterlicher Fürsorge und Kissenaktionen. Doch da ließ Meg Fenn erneut ihre Nebelhornstimme ertönen. Winn blickte auf.
»Fenn!«, rief er laut über Livias Kopf hinweg. »Jack Fenn!«
Jack hob eine Hand und kam in ihre Richtung, und Meg stolperte mit ihren Forellenfüßen neben ihm her.
»Winn«, sagte Jack. »Hallo, Livia.« Er beugte sich vor, um sie auf die Wange zu küssen, und sie spürte, wie sich ihr Mund verkrampfte. Jetzt bloß nicht weinen. Die Hand ihres Vaters zuckte in Megs Richtung, zögerte und erstarrte zu einem Wegweiser, der auf Jack zeigte. Jack setzte seinen Korb ab und erlaubte Winn, seine breite Pranke zu schütteln. Livia legte die Arme leicht um Meg, die sich mucksmäuschenstill umarmen ließ. »Dein Gürtel ist schön«, sagte Livia. Ihr fiel auf, dass Megs Lippen glänzten, und sie musste daran denken, wie sie einmal Teddys Mutter dabei gesehen hatte, wie sie Megs Kinn in Hand genommen hatte, um ihr Lipgloss aufzutragen.
Jack wandte seine grünen Augen, Teddys Augen, Livia zu, und sie errötete, weil ihr bewusst wurde, wie dünn sie geworden war. »Wie geht es dir?«, fragte
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