Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)
langsam voran, und im Auto wurde es warm. Livia verschob die Blumen, und ein grüner Stiel kitzelte Winns Hand. Er stieß ihn fort. Livia seufzte und lehnte den Ellbogen auf die Fensterkante. »All diese Leute. Zu viele Leute.«
»Hoffentlich sind das nicht alles Hochzeitsgäste«, sagte er.
Sie schnaubte. »Hast du eigentlich eine Ahnung, wie es ist, sich mit Celeste ein Zimmer zu teilen?«
»Ich glaube, ich kann’s mir denken.«
»Das Licht ist aus, und ich höre immer noch Eiswürfel klingeln. Und dann macht sie einen auf Freundin und fragt mich flüsternd nach meinem Liebesleben aus, bis sie einschläft und laut schnarcht. Du kannst es dir nicht vorstellen. Es klingt, als ob sie versucht eine Schlammpfütze abzusaugen.«
Winn war in der Vergangenheit, in den Ferien wie an Wochenenden, oft von Celestes nächtlichem Baustellengetöse wachgehalten worden, selbst wenn sie ein paar Zimmer weiter lag. Trotzdem sagte er: »Kopf hoch, meine Liebe. Ich wäre dankbar, wenn du deinen Teil beiträgst, indem du nett zu deiner Tante bist.«
»Ich trage meinen Teil bei. Und wie. Ich bin die erste Brautjungfer. Ich bin die Zofe der schwangeren Königin. Warum muss ich auch noch die Gesellschafterin der betrunkenen Tante sein?«
»Celeste hat es im Leben bisweilen nicht leicht gehabt. Da sollte man Nächstenliebe walten lassen und großzügig sein.«
»Sie ist eine Schreckschraube.«
»Sie ist ein Wrack.«
»Das ist ihre eigene Schuld. Ich kann ihr nirgends entkommen. Sie ist überall mit ihren Martinis und ihren Geschichten. Ständig geht es: ›Hab ich dir schon erzählt, wie mein dritter Mann mit der Tochter meiner besten Freundin nach Bolivien abgehauen ist? Was ein gebrochenes Herz ist, weiß man erst, wenn einem der dritte Mann mit der Tochter der besten Freundin nach Bolivien abgehauen ist.‹ Dieses ewige Eisgeklimper, wenn sie in der Nähe ist – das ist wie die Musik in Der weiße Hai .«
»Sei froh, dass du nichts von der Scheidung nach dieser Boliviengeschichte mitbekommen hast. Das war eine Schlammschlacht.«
»Ich finde nicht, dass eine Scheidung vor über zwanzig Jahren eine Entschuldigung dafür ist, sich derart gehen zu lassen.«
»Was schlägst du vor?«, fragte Winn. »Sollen wir sie in einen Sack stecken und von der Fähre schmeißen?«
»Ohne Sack ginge auch.«
»Wenn sie sich betrinken und danebenbenehmen will, dann ist das ihre Sache. Und so sehr wir uns wünschen, dass es sie nicht gäbe, es gibt sie nun mal. Schicksal, Livia, Tod, Steuern, Verwandtschaft.«
Die Farm lag da wie am Ende der Welt. Ein schmaler Meeressaum bildete die Grenze zwischen ihren Feldern und dem Himmel, von der Sonne mit einem Kupferhauch überzogen. Auf dem kabbeligen Wasser spielte das Licht, und es war wunderschön, aber Livia beschäftigte sich lieber mit all dem, was unter der Oberfläche lebte: Phytoplankton natürlich,Felsenbarsche, Blaufische, Bonitos, manchmal Thunfische, Fischlaich und Jungfische, Würmer und Muscheln auf dem Grund. Tauchende Pelikane, die sich die riesigen Schnäbel füllten. Robben. Vielleicht ein Wal, auch wenn sie in der Gegend von Waskeke selten waren. In den vergangenen Jahrhunderten hatten die Inselbewohner Pottwale und Glattwale gejagt, bis sie beinahe ausgerottet waren, und Livia hatte den Verdacht, dass die Tiere in den Gewässern ringsum noch immer negative Schwingungen wahrnahmen.
Je älter sie wurde, desto mehr fühlte sie sich von ihrer Familie eingeengt. Das Bedürfnis ihres Vaters, allen möglichen Clubs anzugehören, war ihr früher ganz normal erschienen, doch inzwischen war es ihr peinlich. Er schien zu glauben, dass seine verschiedenen Clubhäuser, muffige alte Gebäude voll muffiger alter Leute, eine Art Bunker waren, die ihm vor den Unbilden des Alltags Zuflucht böten, so wie der grüne Zaun im Garten sein kostbares Gemüse vor den bösen Tieren des Waldes schützen sollte. Teddy hatte eine ähnliche Einstellung zu seiner Familie gehabt, und sie hatte sich eingebildet, sie könnten zusammen eine neue Freiheit finden und sich ein eigenständiges Leben aufbauen, doch dann hatte er sie verlassen, und sie konnte das Ende noch immer nicht akzeptieren. Ständig drehte und wendete sie ihre letzten Begegnungen im Kopf wie einen Zauberwürfel, ohne dahinterzukommen, was ihn vertrieben hatte. Sie war noch nie so glücklich gewesen wie mit ihm. Auch er war glücklich gewesen – dessen war sie sich sicher.
»Herrgott noch mal«, stöhnte ihr Vater, der darauf wartete, dass
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